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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe
Autoren: J Downham
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Gott zu glauben.«
    »Ach ja?«
    »Na ja, vielleicht sollten wir das alle. Die ganze Menschheit.«
    »Das finde ich nicht. Womöglich ist er ja tot.«
    Sie dreht sich um und sieht mich an. Ihr Gesicht ist blass wie der Winter. Hinter ihrer Schulter blinkt ein Flugzeug durch den Himmel.
    Sie fragt: »Was hast du da an die Wand geschrieben?«

    Ich weiß nicht, warum ich sie es lesen lasse. Wahrscheinlich will ich, dass was passiert. Es ist schwarze Tinte. Während Zoey sich das ansieht, krabbeln die Wörter rum wie Spinnen. Sie liest es immer wieder. Ich kann’s nicht ab, wie sie mich manchmal bemitleidet.
    Sie redet sehr sanft. »Disneyland ist das nicht gerade, was?«
    »Hab ich das behauptet?«
    »Ich hab gedacht, das wär die Absicht.«
    »Nicht meine.«
    »Dein Dad erwartet wohl eher, dass du dir ein Pony wünschst, keinen Freund.«
    Es klingt so irre, wenn wir beide lachen. Obwohl es wehtut, liebe ich es. Mit Zoey lachen ist so ziemlich das Beste, weil ich weiß, dass wir beide dieselben schrägen Bilder im Kopf haben. Sie braucht bloß zu sagen: »Ein Zuchthengst wär vielleicht die Lösung«, und schon prusten wir beide los.
    Zoey fragt: »Weinst du?«
    Ich weiß nicht genau. Vielleicht schon. Ich hör mich an wie diese Frauen im Fernsehen, die gerade ihre ganze Familie verloren haben. Wie ein Tier, das sich die eigene Pfote abbeißt. Alles strömt zugleich auf mich ein – zum Beispiel dass meine Finger nur Haut und Knochen sind und meine Haut praktisch durchsichtig. In meinem linken Lungenflügel spüre ich, wie sich die Zellen teilen, sich aufschichten wie Asche, die nach und nach eine Urne füllt. Bald werde ich nicht mehr atmen können.
    »Geht schon in Ordnung, wenn du Angst hast«, sagt Zoey.
    »Gar nicht.«
    »O doch, natürlich. Alles, was du fühlst, ist in Ordnung.«
    »Stell dir das vor, Zoey – die ganze Zeit in Panik zu sein.«
    »Kann ich.«
    Aber das kann sie nicht. Wie auch, wo sie doch noch ihr ganzes Leben vor sich hat. Ich verstecke mich wieder unter meinem Hut, nur ganz kurz, weil mir das Atmen fehlen wird. Und das Reden.
Und Fenster. Kuchen wird mir fehlen. Und Fische. Ich mag ihre kleinen Mäuler, wenn die so auf- und zu- und wieder aufgehen.
    Und wo ich hingehe, kann man gar nichts mitnehmen.
    Zoey sieht zu, wie ich mir mit dem Federbettzipfel die Augen wische.
    »Mach’s mit mir«, sage ich.
    Sie sieht erschrocken aus. »Was?«
    »Es steht überall kreuz und quer auf Zettelchen. Ich schreib’s richtig auf, und du kannst mich dazu bringen, es zu tun.«
    »Was denn? Das, was du an die Wand geschrieben hast?«
    »Auch noch anderes, aber das mit dem Jungen zuerst. Du hattest schon tausendmal Sex, Zoey, und ich bin noch nicht mal geküsst worden.«
    Ich sehe zu, wie meine Worte bei ihr ankommen. Sie landen sehr tief.
    »So oft nun auch wieder nicht«, sagt sie schließlich.
    »Bitte, Zoey. Und wenn ich dich anbettle, es zu lassen, und wenn ich noch so eklig zu dir bin, du musst mich dazu anspornen. Ich hab eine ganz lange Liste mit Sachen, die ich machen will.«
    Als sie »okay« sagt, hört es sich bei ihr ganz einfach an, so als hätte ich sie nur gebeten, mich öfter zu besuchen.
    »Ehrlich?«
    »Hab ich doch gesagt, oder?«
    Ich frage mich, ob sie weiß, auf was sie sich einlässt.
    Ich setze mich im Bett auf und seh zu, wie sie hinten in meinem Schrank rumkramt. Bestimmt hat sie einen Plan. Das ist das Gute an Zoey. Aber sie sollte sich besser ein bisschen beeilen, weil ich anfange, an Sachen wie Möhren zu denken. Und Luft. Und Enten. Und Birnbäume. Samt und Seide. Seen. Eis auf zugefrorenen Seen wird mir fehlen. Und das Sofa. Und das Wohnzimmer. Und wie gern Cal Zauberkunststücke mag. Und Weißes – Milch, Schnee, Schwäne.

    Aus den Tiefen des Schranks zerrt Zoey das Wickelkleid, das Dad mir letzten Monat gekauft hat. Das Preisschild hängt noch dran.
    »Ich trag das hier«, sagt sie. »Du kannst meins anziehen.« Und schon knöpft sie ihr Kleid auf.
    »Gehst du mit mir aus?«
    »Es ist Samstagabend, Tess. Schon mal von gehört?«
    Natürlich. Klar doch.
    Ich war seit Stunden nicht mehr in der Senkrechten. Ich komm mir ein bisschen komisch vor, irgendwie leer und durchsichtig. Zoey in Unterwäsche hilft mir, in das rote Kleid zu schlüpfen. Es riecht nach ihr. Der weiche Stoff klebt an meinem Körper.
    »Warum soll ich das hier anziehen?«
    »Kommt manchmal gut, sich wie jemand andres zu fühlen.«
    »Jemand wie du?«
    Darüber denkt sie nach. »Vielleicht«, sagt sie dann.
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