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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe
Autoren: J Downham
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Bässe
durch unsere Fußsohlen in unser Blut wummern. Bilder wie in einem Kaleidoskop flackern von den Großbildleinwänden an den Wänden. Der Joint geht noch mal rum.
    Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht. Vielleicht Stunden. Minuten. Ich weiß nur, dass ich nicht aufhören darf, mehr nicht. Wenn ich weitertanze, werden die dunklen Ecken nicht näher kommen und die Stille zwischen den Songs nicht lauter werden. Wenn ich weitertanze, werde ich wieder Schiffe auf hoher See sehen, Herzmuscheln und Wellhornschnecken schmecken und das Knirschen von frisch gefallenem Schnee hören, den man als Erster betritt.
    Irgendwann lässt Zoey einen neuen Joint rumgehen. »Froh, hier zu sein?«, fragt sie lautlos.
    Ich halte an, um zu inhalieren, stehe eine Sekunde zu lange dumm rum, vergesse mich zu bewegen. Und jetzt ist der Bann gebrochen. Ich versuche, wieder etwas Begeisterung aufzubringen, fühle mich aber, als hockte ein Geier auf meinem Brustbein. Zoey, Kiffer und all die anderen Tänzer sind weit weg und unwirklich, wie eine Fernsehsendung. Ich erwarte nicht mehr dazuzugehören.
    »Bin gleich wieder da«, sage ich Zoey.
    In der Stille der Toilette sitze ich auf der Schüssel und betrachte meine Knie. Wenn ich dieses kurze rote Kleid ein kleines Stück höher ziehe, kann ich meinen Bauch sehen. Da habe ich noch rote Flecken drauf. Und auf meinen Oberschenkeln. Meine Haut ist so trocken wie die von einer Eidechse, ganz gleich, wie viel Creme ich einreibe. Die Innenseiten meiner Arme sind voller Nadeleinstichlöcher.
    Ich bin fertig mit Pinkeln, wische mich ab und ziehe das Kleid wieder runter. Als ich aus der Kabine komme, wartet Zoey am Händetrockner. Ich hab sie nicht reinkommen gehört. Ihre Augen sind dunkler als zuvor. Betont langsam wasche ich mir die Hände. Ich weiß, dass sie mir zusieht.

    »Er hat einen Freund«, sagt sie. »Sein Freund ist süßer, aber du kannst ihn haben, weil es dein besonderer Abend ist. Sie hei ßen Scott und Jake, und wir gehen mit zu ihnen nach Hause.«
    Ich halte mich am Waschbeckenrand fest und betrachte mein Gesicht im Spiegel. Meine Augen kommen mir fremd vor.
    »Einer von den Tweenies heißt Jake, du weißt schon, diese Kindersendung«, sage ich.
    »Also wirklich«, sagt Zoey, der es jetzt reicht, »willst du Sex haben oder nicht?«
    Ein Mädchen am Waschbecken neben mir wirft mir einen Blick zu. Ich möchte ihr sagen, dass ich nicht bin, was sie denkt. Ich bin eigentlich sehr nett, bestimmt würde sie mich mögen. Aber dazu ist keine Zeit.
    Zoey zerrt mich aus der Toilette und zurück an die Bar. »Da sind sie. Der da ist deiner.«
    Der Junge, auf den sie zeigt, hält seine Hände flach vor dem Schritt, die Daumen in die Gürtelschlaufen gesteckt. Er sieht aus wie ein Cowboy mit abwesendem Blick. Weil er uns nicht entgegensieht, bleibe ich stehen und rühre mich nicht vom Fleck.
    »Ich kann nicht!«
    »O doch! Jung kaputt spart Altersheim!«
    »Nein, Zoey!«
    Mein Gesicht fühlt sich erhitzt an. Ich frage mich, ob man hier drin irgendwie an Luft rankommt. Wo ist die Tür, durch die wir gekommen sind?
    Sie straft mich mit einem Stirnrunzeln. »Du hast mich drum gebeten, dich herzubringen! Und was soll ich jetzt machen?«
    »Nichts. Du brauchst gar nichts zu machen.«
    »Du kannst einem leidtun!« Sie schüttelt den Kopf über mich und stolziert über die Tanzfläche davon, raus in die Lobby. Ich beeile mich hinterherzukommen, und sehe, wie sie meine Garderobenmarke abgibt.

    »Was machst du da?«
    »Ich hol deinen Mantel. Und besorg dir ein Taxi, mit dem du dich nach Hause verpissen kannst!«
    »Du kannst nicht allein zu den beiden nach Hause, Zoey!«
    »Wenn du dich da mal nicht täuschst.«
    Sie schiebt die Tür auf und inspiziert die Straße. Jetzt, wo niemand mehr Schlange steht, ist es ruhig hier draußen, keine Taxis weit und breit. Im Rinnstein picken ein paar Tauben an einer Schachtel vom Hähnchenimbiss.
    »Bitte, Zoey, ich bin müde. Kannst du mich nicht nach Hause fahren?«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Du bist immer müde.«
    »Sei nicht so gemein!«
    »Sei nicht so langweilig!«
    »Ich will nicht zu irgendwelchen fremden Jungs nach Hause mit. Was da alles passieren kann!«
    »Und das ist auch gut so, weil nämlich ansonsten absolut null passiert.«
    Ich trete von einem Bein aufs andere, hab plötzlich Angst. »Ich will, dass es perfekt ist, Zoey. Wenn ich mit einem Jungen schlafe, den ich nicht mal kenne, was bin ich dann? Eine Schlampe?«
    Mit funkelnden Augen
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