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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet
Autoren: Annika Scheffel
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den Westernfilmen, die sie sich früher zusammen am Wochenende mit Jeremias angeschaut haben. Jula braucht ihn gar nicht so fest in die Rippen zu stoßen, das Grinsen war doch nicht böse gemeint, das kam eher aus der Langeweile heraus, nach Erledigung aller Aufgaben und ohne richtigen Plan für den Rest des Tages, wie immer. Da war dieser kurze Slapstick eine nette Abwechslung.
    »Tu doch nicht so«, knurrt Jules den einen Zentimeter, den er kleiner ist, zu seiner Schwester hinauf.
    »Die zwei Minuten holst du nie wieder ein, Kleiner«, sagt Jula. Sie gibt ihm einen Kuss, der herablassend gemeint ist und auf dem Kopf landen soll, aber die Stirn trifft. Wie gesagt: ein Zentimeter. Für Hochmut reicht das nicht.
    »Such dir 'nen Freund!«
    »Ey, wie alt bist du?« Jules drückt Jula, einmal in den Arm nehmen und alles ist wieder gut, so gut, dass Eleni und Jeremias Salamander sich ab und zu Sorgen machen wegen:
    »Der Beziehung.«
    »Der Interaktion.«
    »Also, dem Interagieren.«
    »Also genaugenommen wegen, äh, diesem ständigen Umeinandersein –«
    »Rumfummeln, sag es doch einfach!« Aber dann sagen sie es doch nicht einfach und stattdessen einander: »Die beiden gehören nun mal zusammen.« Und dann lächeln sie und verlieren sich und die Gedanken im Kaminfeuerschein, und alles ist gut, Zusammensein ist gesund, auch für die Kinder, und hier gibt es nicht viel, aber eigentlich alles.
    »Jetzt lass mal los, ich will wissen, was Mona hat«, sagt Jula und befreit sich aus Jules' Umarmung.
     
    Vorsichtig schleichen die fahlen Herren am überlebensgroßen Steinlöwen vorbei die weiße Treppe hinauf ins Rathaus. Nummer 2 beäugt die Ordnung in der Garderobe, die sorgfältig aufgereihten Schuhe, tief atmet er den Geruch von frisch gebrühtem Kaffee ein. Das Plakat stellt er ab, das ist vorerst zu deutlich. Durch die in freundlichem Gelb gehaltene Diele folgen sie dem Kaffeeduft bis in die große Wohnküche.
    Als hätte er sie erwartet, steht dort mitten im Raum der Bürgermeister, Wacho, und er lächelt sie an und er bittet sie an den Tisch, da steht noch das Geschirr vom Frühstück. Wacho entschuldigt sich, er habe gerade spülen wollen und im Büro, da sehe es noch schlimmer aus, die Akten, die Ordner, all diese Ordner, sie wüssten schon. »Eigentlich bin ich Anlageberater«, sagt Wacho, und es klingt wie ein Geständnis.
    Alles hier strahlt Gemütlichkeit aus, finden Nummer 1 und Nummer 2, und Wacho wirkt wie ein freundlicher Mensch,
wie ein zufriedener Bürgermeister eines winzigen Ortes und er hat sogar einen braunen Bart.
    »Haben Sie Kinder?«, fragt Nummer 2. Wacho strahlt.
    »Einen Sohn, David.«
    »Das ist gut«, sagt Nummer 2, »wie alt ist er denn?« Wacho sieht plötzlich bekümmert aus.
    »Fast siebenundzwanzig.« Erstaunt werfen Nummer 1 und Nummer 2 noch einmal einen Blick auf die Kinderbilder am Kühlschrank.
    »Dann sind Sie schon Opa«, sagt Nummer 2, und Nummer 1 kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus, so ein Wort hätte er aus diesem Mund nicht erwartet. Für ihn war Nummer 2 bisher immer jemand, der »Großvater« sagt, »selbstredend« und »gezwungenermaßen«.
    »Nein«, sagt Wacho, »noch nicht.« Er scheint wirklich besorgt. Er gießt den Männern Kaffee ein, auch wenn diese abwinken, das ist eine dieser Regeln, Kaffeetrinken nur mit betroffenen Zivilpersonen, mit den Offiziellen trinkt man höchstens ein Wasser oder später einen Schnaps. Nummer 1 und Nummer 2 rühren nur um, sie trinken nicht.
    »Ist etwas mit David«, stößt Wacho hervor, »ist ihm etwas passiert?«
    »Nein, nein«, sagen Nummer 1 und Nummer 2 wie im Chor, aber Wacho ist schon am Fenster, späht durch die Gardine, sucht.
    »Da ist er doch, mein Sohn, da steht er.«
    »Es geht nicht um Ihren Sohn, entschuldigen Sie, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Wir arbeiten für die Poseidon Gesellschaft für Wasserkraft. Wir sind hier wegen der Maßnahmen, Sie erinnern sich, die beginnen in Kürze.« Ihre Namen nennen die Männer nicht, das ist Teil der Firmenphilosophie, man will nicht persönlich werden.
    »Irgendwas ist mit Mona«, murmelt Wacho, während er weiter aus dem Fenster schaut.
    »Haben Sie uns verstanden?«, fragt Nummer 1 und steht auf. Sie müssen wohl förmlicher werden, ausdrücklicher. Die Botschaft muss ankommen, sonst wird das hier nichts.
    »Maßnahmen«, wiederholt Wacho leise. »Was meinen Sie damit?«
    Ein Seufzen der beiden Männer, dabei war nichts anderes zu
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