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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet
Autoren: Annika Scheffel
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Spanisch gelernt?« Das hat sie, sie hat viel versucht, um sich abzulenken.
    »Vielleicht ist der Ort noch da«, sagt Jula.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagt Jules und wendet sich zum Gehen. Warte, denkt Jula, sie sagt es nicht laut, aber Jules bleibt stehen.
    »Es tut mir leid«, sagt sie. »Dass ich weggegangen bin.«
    Jules nickt, und dann hört sie, wie er wieder ins Wasser geht, zurück in den Ort. Sie schaut ihm nicht nach.
    Ein Abschied, das war endlich so etwas wie ein Abschied, aber weinen kann sie immer noch nicht, dafür ist zu viel verloren. Ein Zuviel, das eigentlich alles ist und gegen das auch ein Mensch wie Anton nichts tun kann und gegen das kein Hiersein hilft, kein Woanders und kein Garnicht. Seit fast zehn Jahren ist sie nicht hier gewesen, jetzt nimmt sie sich Zeit und weiß nicht wofür. Jula setzt sich ins nasse Laub, an den Rand des unermesslichen Sees und wartet.
     
    *
     
    Messgeräte schwingend kalkulierten sie sämtliche Daten, sie zählten jeden Vogel. Schon seit Jahren schlichen sie durch den Ort und die umliegenden Wälder. Zu Beginn waren sie aufgefallen, beobachtet worden, hatten sie Fragen und Ängste mit sich gebracht. Viele Bewohner waren verschwunden, wenige nur geblieben, nach dem ersten Auftauchen der Messenden. Irgendwann waren diese dann unsichtbar geworden und schließlich hatte der Ort sie vergessen. Und so lebten die Übriggebliebenen ihr Leben, wie man es überall tut. Bis es eines Tages ernst wurde, bis die Verantwortlichen kamen.
     
    *
    Mona
Die Verkündung
    Es ist einer dieser Regenmorgen, die noch aus dem letzten November stammen, eiskalt und doch ohne Schnee und ohne Minusgrade, und das im Januar. Mona Winz, die davon träumt, eines Tages unsterblich zu sein, die sich nach ihrem gescheiterten Fluchtversuch vor fast zehn Jahren geschworen hat, für immer zu bleiben, und die in ein paar Monaten verschwunden sein wird, hat es als Erste erfahren: Mona begegnet dem Weltuntergang zuerst. Wie immer um diese Zeit ist sie auf dem Weg nach Hause, sie hat eingekauft, alles, was man braucht für ein Buntes Huhn. Ein warmer Eintopf ist genau das Richtige bei der Kälte. Mona geht die Straße hinunter, grüßt Greta Mallnicht, die ebenfalls auf dem Weg nach Hause ist, auf dem Weg zum Friedhof: »Tag, Greta.« Und Greta grüßt freundlich zurück, sie ahnt nichts, und Mona ahnt nichts, und wie könnten sie auch.
     
    Aus dem Nachbarort kommend, sieht man das goldene Kreuz, weit ragt es über die bewaldeten Hügel der Umgebung. Die krumme Kirche steht im Tal, dort fließt ein Fluss hindurch, die Traufe, in der die Neugeborenen seit je von ihren stolzen Vätern untergetaucht werden, und danach können die Kinder nur noch in den Regen kommen, das Schlimmste haben sie bereits hinter sich, dem Ort mit dem ersten Schluck Brackwasser auf ewig verbunden.
    Auch die beiden fahlen Herren bemerken an diesem Januartag das Kreuz. Gegen zwölf Uhr mittags rollen sie auf den
Ort zu, und gerade als Mann Nummer 1 den Kopf zum Himmel hebt, quetscht sich ein Sonnenstrahl durch die Wolken, knallt auf das Kreuz und lässt es blitzen. Nummer 2 sitzt am Steuer, und da trifft ihn der Lichtstrahl, viel zu hell für diesen Winter. Verärgert deutet er auf das Kreuz:
    »Das verschwindet als Erstes.«
    »Das kannst du nicht entscheiden«, sagt Nummer 1 und biegt das Infomaterial in seinen Händen. »Das entscheiden nicht wir.«
     
    Das Kreuz reflektiert so gut es kann, es presst das Licht bis in die düstere Tiefe des Kellers hinein, wo David Wacholder am Fuße der Treppe steht. Immer hier bleibt er stehen und kann sich nicht losreißen von der Gestalt auf dem Gemälde. Sie ist in seinem Alter, und doch trennen David Jahrzehnte von diesem Menschen, den er sich so gut vorstellen kann, Jahrhunderte und der Zweifel, ob es ihn tatsächlich einmal gegeben hat, in diesem Haus, in dieser Welt. Aber wenn, denkt David, dann wäre das gut. Er muss sich beeilen, oben hört er die Schritte. Mit dem Zeigefinger streicht er über das Haar des Fremden, das Haar ist aus Öl, hart und unnachgiebig, es fehlt das Leben, und David schafft es, sich loszureißen, die albernen Träume zu vergessen. Er geht die Treppe hinauf, er bringt seinem Vater den Wein, damit der sich nicht fürchten muss, damit Ruhe ist, damit Frieden herrscht, damit es weitergehen kann wie bisher.
     
    Träge blickt Nummer 1 über den Ort, der dort unten im Tal liegt, als würde er schlafen.
    »Tote Hose«, sagt er. »Aber ist ja kein Wunder, die
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