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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher
Autoren: Nancy Kress
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schloß sich das Tor wieder. Gegenüber öffnete sich eine Tür.
    Das Innere von Gefängnissen ist mir nicht unbekannt; ihre Funktionsweise war Teil meiner lang zurückliegenden Geheimdienstausbildung. Zuerst kamen die computergesteuerten automatischen Türen und Biodetektoren – und alle winkten mich durch. Dann kam die zweite Abfolge von Türen, diesmal nicht von Y-Energie sondern von Titanbolzen verriegelt und manuell betätigt, weil es immer wieder Leute gibt, die jedes elektronische System knacken können – einschließlich des Netzhautscanners. Das kam bereits vor. Der zweite Satz Türen wird von Menschen hinter Y-Energie-Schirmen kontrolliert, und wenn keine Menschen dort anwesend sind, kann niemand hinein. Oder hinaus. Nicht ohne Sprengsätze, die mindestens so stark sein müßten wie jene, mit denen es die Wille-und-Ideal-Leute bereits versucht hatten.
    Ich stand vor der ersten verschlossenen Tür und lugte durch das trübe Fenster auf die Wachstation; das Fenster bestand aus PlastiKlar und nicht aus Y-Energie, weil letztere ausreichend raffinierter Elektronik gegenüber auch anfällig ist. Hinter dem Fenster bemerkte ich eine Gestalt. Irgendwie mußte es Huevos Verdes gelungen sein, die eigenen Leute hier hereinzubringen. Aber wann? Und wie? Und was war mit den Macher-Gefängnisbeamten geschehen?
    Die Tür öffnete sich.
    Dann die nächste.
    Und die nächste.
    Der Gefängnishof war leer. Freizeit- und Speisesäle zur Rechten, Verwaltung und Turnhalle zur Linken. Ich schleppte mich zu den Zellblöcken am Ende des Komplexes. Dahinter befand sich ein einzelstehendes kleines Gebäude. Seine Tür öffnete sich, als ich dagegen drückte.
    Mehr oder weniger erwartete ich, Mirandas Zelle leer zu finden – und dazu einen Felsen, der zur Seite gerollt worden war, sozusagen als Spiel mit kulturellen Ikonen…
    Aber SuperSchlaflose spielen nicht. Sie war da, saß auf einer Schlafstatt, für die sie keine Verwendung hatte, in einem zwei mal drei Meter großen Raum mit einer Toilette ohne Deckel und einem einzelnen Stuhl. Auf dem Stuhl lag ein Stapel Bücher – echte gebundene Druckwerke aus Papier. Sie sahen alt aus. Kein Terminal weit und breit. Sie hob den Kopf und sah mich an, ohne zu lächeln.
    Was sagte man in solch einem Augenblick? »Miranda? Miranda Sharifi?«
    Sie nickte, senkte nur einmal den etwas zu großen Kopf. Sie trug dunkelgraue Gefängniskluft. Und kein rotes Band im Haar.
    »Die… Ihre… die Türen sind offen.«
    Wieder nickte sie. »Ich weiß.«
    »Kommen Sie… wollen Sie nicht herauskommen?« Selbst in meinen eigenen Ohren klang das albern. Aber ich hatte mich noch in keiner vergleichbaren Situation befunden.
    »Eine Minute noch. Setzen Sie sich, Diana.«
    »Vicky«, sagte ich. Noch alberner. »Ich nenne mich jetzt Vicky.«
    »Ja.« Immer noch kein Lächeln. Sie sprach in der leicht zögernden Weise, an die ich mich erinnerte – so, als wäre die Sprache nicht ihr angeborenes Kommunikationsmittel. Oder so, als würde sie ihre Worte überaus sorgfältig wählen, und zwar nicht aus zu wenigen, sondern aus einer unvorstellbaren, überquellenden Vielfalt. Ich hob die Bücher vom Stuhl weg und setzte mich.
    Was sie dann sagte, war so ungefähr das Letzte, was ich erwartet hätte: »Sie haben Kummer.«
    »Ich…?!«
    »Sie haben doch Kummer, oder?«
    »Ich bin fassungslos!«
    Sie nickte wieder, offenbar wenig überrascht.
    »Sie nicht?« fuhr ich fort. »Nein, selbstverständlich nicht. Sie haben ja damit gerechnet, daß dies passieren würde.«
    »Daß was passieren würde?« fragte sie in ihrer schleppenden Sprechweise, und natürlich hatte sie recht. Zuviel war passiert, und es war unklar, worauf ich Bezug nahm: auf die biologischen Veränderungen gegenüber vorher, auf den Angriff seitens ›Wille und Ideal‹, auf die Rettungsaktion.
    Doch was ich sagte, war: »Der Zerfall meines Landes.« Ich hörte die leichte Betonung, mit der ich das Wort ›mein‹ versah, und schämte mich noch im selben Moment deswegen: mein Land – nicht das deine. Diese Frau hatte mein Leben gerettet, unser aller Leben!
    Aber so sehr schämte ich mich auch wieder nicht…
    Miranda sagte: »Vorübergehend.«
    »Vorübergehend? Wissen Sie nicht, was Sie getan haben?«
    Sie fuhr fort mich anzusehen, ohne zu antworten. Plötzlich fragte ich mich, wie es wohl sein mußte, diesem Blick Tag für Tag zu begegnen, zu wissen, daß sie alles über einen wußte, noch ehe man auch nur eine Ahnung davon bekam, was sie dachte. Und
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