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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken
Autoren: Katinka Buddenkotte
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»Warum kannst du kochen?«
    Damit hätte ich nicht gerechnet, trotzdem gehe ich sofort in die Defensive: »Jeder kann kochen, Vladimir. Man stellt einen Topf mit Wasser auf den Herd, wartet, bis es brodelt, wirft Zeug rein, holt es wieder raus, wenn es gar ist. Tada.«
    Vladimir schüttelt den Kopf: »Ich habe die Frage nicht richtig formuliert, warte …« Er verfällt in seine Denkerpose, und mir fallen direkt zwanzig bessere Fragen ein, die ich ihm hätte stellen können: Zum Beispiel, warum er sommers wie winters in diesem schwarzen Trenchcoat herumläuft. Oder warum er manchmal seine Sätze glasklar hervorbringt und bei vergleichsweise einfachen Wörtern oder Satzkonstruktionen scheitert. Ich hätte ihn fragen sollen, ob er mir verzeiht, dass ich ihn beschuldigt habe, aus meinem Leben einen Scheißhaufen gemacht zu haben.
    Vielleicht kann ich ihm helfen, die gesuchte Fragestellung zu finden: »Willst du ein bestimmtes Rezept haben? Oder suchen die Leute, denen dieses Haus gehört, jemanden, der für sie kocht? Also, da kenne ich vielleicht jemanden, aber nicht mich, garantiert nicht. Ich habe das nur für Marie gemacht, wegen der Pommesbude, die ja gar nicht zumacht … so wie das ›Dead Horst‹.«
    Ausgerechnet jetzt fällt Vladimir ein, was er wirklich von mir wissen wollte: »Doris, warum hasst du es, zu kochen?«
    »Ich hasse es doch nicht.«
    Es klingt lahm. Also doch die Wahrheit erzählen. Hier in diesem unwirklichen Zimmer, in das weder Vladimir noch ich und schon gar nicht das SpongeBob-Feldbett gehört. Warum nicht noch ein Gläschen Wasser trinken und einem neuen Freund eine alte Geschichten erzählen? Wem sollte ich sie sonst erzählen? Die Geschichte, die Katja immer in ihrem »Beste-Freundin-Album« gefehlt hat, bis Gunnar sie ihr erzählt hat. Seine Version. Als Bettgeflüster vermutlich.
    So erzähle ich es bestimmt nicht. Aber wie dann? Vielleicht so, als würde ich einem Riesen eine Gutenachtgeschichte erzählen. Eine Gruselgeschichte, von grausamen Zwergen, die alle hinter den sieben Bergen lebten, tief im Wald, noch hinter der Endhaltestelle des Regionalzuges.
    »Vladimir, wie du vielleicht weißt, komme ich aus einem ganz kleinen Kaff. Ich bin dort aufgewachsen. Aber meine Eltern nicht. Die sind zugezogen. Aus der Stadt. Damit macht man sich schon nicht besonders beliebt, da, wo ich herkomme. Man kommt einfach nicht von woanders.«
    Vladimir hat das schon verstanden. Ich selber habe Jahre dazu gebraucht. Und noch länger, um zu folgender Erkenntnis zu gelangen: »Es gibt nur eine Möglichkeit, dich mit der Landbevölkerung gut zu stellen, nämlich – scheitern. Am besten auf ganzer Linie. Deine Ehe sollte in die Brüche gehen, deine Kinder missraten, danach kannst du noch den Job verlieren und dein Haus muss zwangsversteigert werden. Wenn es soweit ist, kannst du dich endlich mit den blöden Bauern in die ›Dorfschänke‹ setzen, und dann nehmen sie dich endlich auf in ihren Kreis der Versager.«
    »Klingt umständlich«, murmelt Vladimir, »da, wo ich herkomme, säuft man Fremde direkt unter den Tisch – und raubt sie dann aus.«
    »Ja, das gibt es bei uns auch«, räume ich ein, »bei uns heißt es ›zum Schützenkönig ernannt werden‹. War aber keine Option für meine Eltern. Die liebten sich nämlich und waren ein ganz tolles Team damals. Obwohl sie komplett unterschiedlich waren. Meine Mutter ist Malerin, weißt du, und sie macht echte Kunst, also … Jedenfalls hat sie für eine Weile viele Bilder verkauft. In der Stadt. Für viel Geld. Sie hat so viel Geld verdient, dass mein Vater nicht mehr arbeiten musste. Er hat seinen Job gekündigt. Obwohl er Beamter war. Zu der Zeit hat schon kaum noch jemand im Dorf mit meinen Eltern geredet. Das war zuviel für die, denke ich, eine Frau, die ihren Mann aushält. Aber meine Eltern haben sich noch weiter vorgewagt. Mein Vater hat ein Restaurant eröffnet. In einem ganz alten Fachwerkhaus.«
    »Ah«, sagt Vladimir. Er glaubt, jetzt schon alles zu wissen. Er weiß gar nichts.
    »Nicht ›Ah‹, sondern ›Oje‹. Denn an diesem Punkt dachten sich die Dorfbewohner »So, dann werden wir die blöden Kindermanns doch mal fein ausnehmen, noch bevor sie mit ihrem Gasthof pleitegehen.« Und das haben sie getan. Die Renovierung hat so viel Geld verschlungen, dass meine Mutter das Projekt stoppen wollte, bevor es zu spät war. Aber mein Vater wollte unbedingt eröffnen, und er tat es auch. Alles war fertig, als ich ungefähr fünfzehn war. Und
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