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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken
Autoren: Katinka Buddenkotte
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mein Vater hatte kaum noch Geld, schon gar nicht für Personal. Sie haben ihm Angebote gemacht, damit er sein neues Restaurant verkauft, und meine Mutter hat ihn gedrängt, es zu tun. Aber er wollte nicht. Also, die Ehekrise war zumindest da, zur Freude der Bauern.«
    Ich trinke einen Schluck Wasser. Genug auf die Landbevölkerung geschimpft. Jetzt bin ich dran: »Also haben mein Vater und ich angefangen mit Kochen. Er hat es sich zuerst selbst beigebracht, dann mir. Und weil ich es irgendwann besser konnte als er, hat er das Kellnern übernommen. Wir haben das Restaurant eröffnet. Italienische Spezialitäten, eher so nobles Zeug, war eben Mitte der Neunziger. Es lief ganz gut. Also, das ›Rossi‹ lief gut. Nicht bei den Bauern, aber viele Gäste, die gutes Essen zu schätzen wussten, und die empfahlen uns weiter. Da kamen welche aus Münster, sogar aus Düsseldorf, nur wegen uns aufs platte Land. Wahrscheinlich auch, weil wir das essen viel zu günstig rausgegeben haben. Ich habe andauernd die Schule geschwänzt, um zu kochen. Und meine Mutter hat nicht mehr mit mir geredet. Aus erzieherischen Gründen. Und weil sie meinte, mein Vater schaufle sein eigenes Grab, und ich helfe ihm dabei. Und mit meinem Vater stritt sie nur noch. Wegen dem Restaurant. Wegen mir. Wir waren keine Familie mehr. Sondern zweigeteilt. Meine Mutter und meine Geschwister auf der einen Seite, auf der anderen Papa und ich.«
    Vladimir spürt wahrscheinlich, dass es jetzt wirklich unangenehm wird. Er greift nach meinem Scotchglas und schüttet den restlichen Inhalt in die Palme. Hoffentlich geht die nicht ein davon. Im Prinzip weiß er jetzt, weshalb ich kochen kann. Aber jetzt kann er ruhig noch erfahren, weshalb ich an dem Abend, an dem Raffi zusammengebrochen ist, nicht von meinem sechzehnten Geburtstag erzählt habe. Der war nämlich wirklich für die Tonne.
    »Als ich sechzehn wurde, hat meine Mutter dann eingesehen, dass es so nicht weitergeht. Sie hat ein Ultimatum gestellt: Entweder, mein Vater schließt das Restaurant oder sie reicht die Scheidung ein. Das wollte ich nicht. Und mein Vater natürlich auch nicht, ebenso wenig wie meine Mutter. Ich saß also mit meinen Geschwistern zu Hause am Kaffeetisch, und das Telefon klingelte. Meine Mutter nahm es mit in den Flur, und als sie wieder an den Tisch kam, sah sie richtig glücklich aus: Sie sagte: ›Der Papa kommt gleich. Der macht nur noch eine Überraschung fertig für Doris, und dann kommt er. Alles wird gut.‹
    Und das haben wir auch alle gedacht. Aber mein Papa kam nicht. Er ging auch nicht mehr ans Telefon. Erst als die Feuerwehr vorbeifuhr, war klar, dass was passiert sein musste. Meine Mutter ist hinterhergefahren, wir sollten im Haus bleiben, hat sie gesagt. Sie hat uns sogar da eingeschlossen. Meine kleine Schwester hat geweint. Die ganze Zeit. Und mein Bruder ist in sein Zimmer gegangen. Ich habe die Torte aufgegessen. Die ganze.«
    Ich muss Vladimir nicht erzählen, dass das Restaurant abgebrannt ist. Und mein Vater darin verkohlt ist. Ich muss ihm auch gar nicht sagen, wie es weiterging auf dem Dorf. Sie haben sich alle das Maul zerrissen. Die eine Hälfte war sich sicher, dass meine Mutter das Haus angezündet haben musste, aber es gab auch Spekulationen, dass mein Vater diesen warmen Abriss geplant hatte, weil er pleite war. Und meine Mutter abkassieren würde bei der Versicherung. An einen Unfall glaubte keiner. Es gab auch Leute, die dachten, ich hätte das »Rossi« abgefackelt, weil ich nicht mehr dort kochen wollte. Aber als sie sahen, wie ich litt, immer schlimmer, einigten sie sich darauf, dass meine Mutter die böse Hexe war, die ihren Mann erst vergrault und ihn dann verbrannt haben musste. Zu gerne hätten sie es gehabt, wenn sie sich bei Nacht und Nebel davongemacht hätte auf ihrem schwarzen Pferd. Tat sie aber nicht. Und irgendwann konnte sie es auch gar nicht mehr.«
    »Doris«, fragt Vladimir, nach einer Ewigkeit, »warum ist Gunnar hierhergekommen. Zu dir?«
    Interessante Frage. Ich weiß es nicht genau. Es kann sein, dass er einer von den dummen Jungs war, die Mamas Pferd vergiftet haben. Vielleicht, weil sein Vater die Elektrik in unserem Restaurant verlegt hat. Es hat sich nie herumgesprochen, aber es war offensichtlich ein einfacher Kabelbrand, der dafür sorgte, dass das Haus innerhalb von Minuten zerstört wurde. Alles Holz.
    Im besten Fall habe ich Gunnar einfach nur leidgetan, damals, als ich immer fetter und fetter wurde, bis ich nicht mehr auf
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