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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Autoren: Thomas Müller
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Zimmer des Chefs, um scheinbar in seinen Unterlagen etwas zu suchen, und rückte näher an den Türspalt heran, der ihm offenbar mehr Licht gab, aber den Inhalt seiner Akten kannte er auswendig. Die Unterlagen hatte er dreimal überprüft. Er würde sich nicht mehr den Fehler leisten, dass einer dieser Jungyuppies ihn mit bestechender Schärfe auf einen Umstand hinwies, der scheinbar unkorrekt war.
    Etwas verworren und unklar vernahm er zunächst Begriffe wie Einsparungspotenzial, Synergieeffekte, Zusammenführungen. Dann hörte er ein paar Namen, die ihm alle vertraut vorkamen. Früher hätte es ihn massiv gekränkt, wenn man Personen mit Schicksalen, Erfahrungen und Wissen so aufgezählt hätte: ohne Vornamen, ohne Titel. Er konnte auch nicht sagen, dass er sich daran gewöhnt hätte, aber es blies eben ein etwas anderer Wind. Es war das, was ihm auch bei seinem Stellvertreter abging, die persönliche Note, die Menschlichkeit. Auch sein Name war dabei. Dann ging es um „Hilfestellung für die Bewältigung einer neuen Herausforderung in der Zukunft“ . Eine schöne Wortkreation, eine von vielen, die ihm aber auch nicht ganz neu war. Sie waren so schleichend in den Betrieb eingezogen wie die jungen Manager mit den rahmenlosen Brillen. Es war der neue verbale Zynismus, der manchen älteren Mitarbeitern das Leben zur Hölle machte. „Hilfestellung für die Bewältigung einer neuen Herausforderung in der Zukunft …“ Es bedeute nichts anderes als Entlassung.

    Er ging weiter und blieb nicht mehr stehen, bis er in seinem Büro angelangt war. Was hatte er denn getan, was konnte man ihm vorwerfen, außer dass er seit Jahren für diese Firma lebte? Teilweise hatte er Urlaube verschoben, hatte sein Wissen und seine Erfahrung eingebracht, hatte junge Leute geschult und war mit Engagement und Begeisterung auch an große Problemstellungen herangegangen. Aber er hatte nie übersehen, dass es Menschen waren, die ihn umgaben, dass jeder Mitarbeiter ein Schicksal hatte, dass Krankheit, Tod und finanzielle Sorgen auch Teil des Menschseins waren, und er hatte immer darauf geachtet, dass die Persönlichkeit im Vordergrund stand.

    Früher war er schon einmal ein paar Minuten länger mit seiner Frau im Bett gelegen und hatte auch die wenigen Minuten noch genossen. Er freute sich auf die lachenden Kinderaugen in der Früh, auch wenn er sie nur mehr eine Minute zu sehen bekam, und niemand wäre deshalb auf die Idee gekommen, ihm einen Vorwurf zu machen, weil er etwas später ins Büro kam. Dieser Umstand wurde auch nicht groß angeprangert, er wurde nur „schweigend bemerkt“ von den anderen. Er selbst war es, der diese wertvollen Minuten abschaffte. Lieber stand er eine halbe Stunde früher auf, um ja rechtzeitig im Büro zu sein und keine Angriffsfläche zu bieten, aber es war wie bei einem Staudamm, der – mit noch so viel Mühe aus kleinen Gegenständen von den Kindern errichtet – doch irgendwo immer wieder ein Loch aufweist, wo das Wasser durchkommt. Je früher er kam, desto mehr wurde die angeblich mangelnde Qualität seiner Arbeit „bedauernd zur Kenntnis genommen“. Je mehr er an seiner Qualität feilte, desto öfter nahm man „erstaunt“ zur Kenntnis, dass er sich in Teamsitzungen und „Kick-off-Seminaren“ zu wenig einbrachte. Die Vorgaben wurden klarer, aus dem mithelfenden Stellvertreter wurde langsam, aber sicher ein Überprüfender und als er das erste Mal, selbstverständlich aus rein logistischen Gründen, sein Büro wechseln musste, war ihm, als ob er das Wort Mobbing zum allerersten Mal bewusst verstanden hätte.
    Nichtsdestoweniger war heute sein Tag. Heute würde er das Ergebnis präsentieren, all seine Erfahrungen auf den Tisch legen, vorsichtig argumentieren, auf Dinge zurückgreifen, die er bereits kannte. Er würde erst zum Schluss seine eigentliche Strategie und die Stärke präsentieren, an der er jetzt wochen- und monatelang gefeilt hatte. Ja, er hatte seine Frau und seine Kinder abermals und immer öfter an den Wochenenden gebeten, ihm noch etwas Zeit zu geben. Es hatte ihm das Herz zerrissen. Als sein eigener Vater im Sommer verstarb, war er über sich selbst erstaunt gewesen, dass er nicht wirklich trauern konnte. Es war, als ob sich einige immer wiederkehrende Gedanken über das Büro und seine Angst vor dem Versagen in seinem Kopf festgekrallt hätten wie das Scheidungskind am Elternteil, der es beim Weggehen von sich lösen muss, eigentlich aber festhalten möchte. Wenn er sich dessen
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