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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Autoren: Thomas Müller
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Eleganz über die eine oder andere Problemstellung darüberstrich wie jemand, der in stundenlanger Arbeit sein Puzzle fertiggestellt hatte und anschließend die große zusammenhängende Fläche mit einer Handbewegung prüfte. Er war stark gewesen, hatte seine Ideen umsetzen können, er hatte Leute geführt und war hinter ihnen gegangen. Er wusste, wenn man eine Gruppe leiten wollte, musste man hinter jedem Einzelnen gehen und nicht vor ihm. Und er hatte seinen Beruf geliebt. Er tat es immer noch, aber mit Verzweiflung, mit einer wehmütigen Erinnerung an jene Zeiten, als man ihn noch anerkannte.
    Als er um drei Uhr morgens in den Spiegel sah, bemerkte er nicht zum ersten Mal, dass er alt wurde. 49 war eigentlich kein Alter. Es war der Ausdruck einer Zahl, die den biologischen Prozess festhalten sollte. Aber man ist genauso alt, wie man sich fühlt, und er fühlte sich wie 70, ausgelaugt, matt, wenig kämpferisch und einfach nur mehr müde. Warum stand er bereits um drei Uhr in der Früh vor dem Spiegel? Er wollte sich vorbereiten, das war sein Tag. Heute war sein Tag! Er musste noch einmal beweisen, dass er nicht zum alten Eisen gehörte. Er hatte alles dreimal überprüft und versuchte nunmehr, durch eine doppelte Rasur seine offensichtliche Müdigkeit aus seinem Gesicht zu kratzen. Er tauchte das Handtuch in heißes Wasser und führte es an seine Wangen, in der Hoffnung, die Wärme würde ihm wenigstens für ein paar Stunden jene Lebensfreude wiedergeben, die er früher so oft verspürt hatte – als ob die feuchte Wärme, die seine Poren durchdrang, für kurze Zeit jenes Fensterchen öffnete, als er sich noch aus purer Lebensfreude sein Gesicht benetzte, nicht mit heißem Wasser, mit eiskaltem. Er hatte sich förmlich das Wasser ins Gesicht gespritzt, lachend, und darauf gefreut, dass die kleinen Kinder, die etwas früher aufgestanden waren, um ihn noch einmal zu sehen, bevor er das Haus verließ, gicksend und kreischend vom Waschbecken weghüpften. Das war noch nicht allzu lange her, vor ein paar Jahren freute er sich noch über das Kinderlachen in der Früh. Heute lachte keiner mehr und er am allerwenigsten. Er versuchte sich selbst nachzulaufen. Ja, er hatte hart gearbeitet und spät geheiratet – mit 40. Er hatte Karriere gemacht, war anerkannt, strotzte vor Wissen und Selbstvertrauen, bis sich eben schleichend, fast unbemerkbar, etwas verändert hatte. Er verstand es ja selbst nicht, warum er schon drei Stunden, bevor die Sonne aufging, vor dem Spiegel stand, um sich herzurichten. Er wollte einfach nichts mehr falsch machen. Er konnte auch nicht mehr schlafen. Es war diese permanente Unruhe, dieser ewige Versuch, noch einmal dorthin zurückzukehren, wo er herkam: zurück zur Stärke, in die Überzeugung. Aber manchmal begann er bereits selbst zu resignieren.
    Wie gesagt, es war schleichend, nicht greifbar, aber nach Monaten der kleinen Nadelstiche hörte er irgendwann einmal per Zufall ein Wort, das offensichtlich schon seit langem als Sammelbegriff für Leute wie ihn verwendet wurde: „Orbits“. Er hatte zunächst mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen können, denn in seiner Firma, die mit äußerst sensiblen Daten und Informationen umging, war dieser Begriff überhaupt noch nie gefallen. Das Wort passte einfach nicht dort hinein, wo er arbeitete, und trotzdem hatte er den Begriff gehört, als er zufällig am Vorzimmer des Chefs vorbeimarschiert war. Er kannte diese leicht hektische Stimme, die das Wort in den Raum schob. Er hätte die Stimme in vollkommener Dunkelheit auch in einem Stimmengewirr von mehreren Dutzend Stimmen herausgehört. Sie war wie eine kleine Rasierklinge, die sich jedes Mal, wenn er sie hörte, in seine Wange bohrte, und anschließend bluteten seine Seele und seine Gefühle, nicht stark, aber beständig. Wie der kleine Schnitt beim Rasieren, der nicht einmal schmerzt, aber trotzdem eine beständige Gefahr darstellt, das neue Hemd zu beschmutzen.
    Die Stimme gehörte einem jener neuen jungen Manager, die mit rahmenloser Brille und offenbar handgenähten Schuhen, modernen Anzügen und seidenweichen Händen beständig und unaufhaltsam die neue Dimension der Wahrheit darstellten. Sie waren nicht eingefallen wie eine Horde Krieger. Sie hatten die Firma fast infiltriert: kalt, emotionslos. Und sie fanden willfährige Helfer, die plötzlich alle gute Ideen hatten, die sich offenbar auch nach außen hin veränderten. Als wären sie geklont, verwandelten sie ebenfalls plötzlich ihr
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