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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Autoren: Thomas Müller
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bewusst wurde, machte es ihn krank, aber er war nicht in der Lage, es abzustellen. Die Gedanken kamen wieder und wieder.
    Die Gedanken über sich, die Ruhe, die Gelassenheit, die Selbstsicherheit, die Größe, über gewisse Dinge hinwegzusehen, die Festigkeit, mit der er in Besprechungen ging, all seine Eigenschaften, die man früher an ihm so geschätzt hatte, waren verblasst wie die Farben an einem nebelverhangenen November-Sonntag.
    Er begann sich selbst zu verachten, als er feststellte, dass er seine Schuhe, seine Socken, seinen Anzug, die Krawatte und das Hemd schon am Vorabend bereitgelegt hatte. Alles musste an seinem Platz sein. Er durfte sich ja keinen Fehler erlauben. Er war ein anderer geworden. Ja, früher hatte er noch schnell in der Früh das Hemd getauscht und seine Frau hatte ihm geholfen, die Krawatte zu binden, bis zu jenem Tag, als er sie einmal, ohne dass er es wirklich wollte, verbal attackierte, weil es ihm zu lange dauerte. Sie merkte, dass etwas vorging, aber sie bohrte nicht nach. Ihr Schweigen war angenehm und vernichtend gleichzeitig. Konnte er ihr denn sagen, dass er doch nicht so stark war, wie sie es immer annahm, dass ihn Kleinigkeiten so aus der Bahn werfen würden?
    Es war jener Tag, als der neue Assistent der Geschäftsleitung mit seiner Fistelstimme und den vor Gel triefenden Haaren, die von früh bis spät den Eindruck machten, als seien sie frisch gekämmt und nass, ohne jeglichen Anlass gefragt hatte, ob er sich nicht vorstellen könne, seine Erfahrung woanders einzubringen. Er erinnerte sich noch, als er höflich lachend zurück in sein Büro ging, zuerst langsam, dann immer schneller, und in seiner Schublade die sensiblen Unterlagen von einem großen Projekt fand, von denen er wusste, dass sie nicht nach außen dringen durften. Er hatte sie nur kurz in seiner Hand gehabt. Der Gedanke war wie eine neu eingeschraubte Glühbirne in seinem Kopf hell und klar hervorgekommen: Mit dieser Information bin ich sicher. Niemand wird mir etwas anhaben. Ich weiß etwas, von dem ihr alle wissen müsst, dass ich es weiß. Für kurze Zeit gab es ihm die Macht, die erniedrigenden Worte zu vergessen, ja geradezu darüber hinwegzusehen und über die Dreistigkeit des jungen Managers zu lächeln. Natürlich verwarf er den grausamen Gedanken wieder, aber er beobachtete sich dabei, dass er die Unterlagen etwas tiefer in seinen Schreibtisch schob, nachdem er sie prüfend in seiner Hand gehalten hatte, und den Schlüssel im Schloss zweimal umdrehte.
    Er wollte seine Frau nicht wecken, obwohl er wusste, dass sie jedes Mal aufwachte, wenn sein Drang ihn um drei Uhr in der Früh bereits aus dem Bett warf. Er musste so früh heraus, er brauchte Zeit für sich, er musste fertig werden, um ja keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Er hätte weiß Gott was dafür gegeben, seinen Kindern noch über den Kopf zu streicheln und ihnen einen Kuss zu geben, aber es war zu früh. Er musste hinaus, er musste ins Büro, er musste alles vorbereiten. Er durfte sich heute keinen Fehler erlauben. Aber was, wenn das Spiel wieder von vorne losging, wenn er alles perfekt machte und man kritisierte dann irgendetwas, das mit der Sache selbst nichts zu tun hatte? Hatte er denn noch irgendeine Möglichkeit zu beweisen, dass er kein „Orbit“ war, ein Gegenstand, der irgendwo herumschwirrt und den keiner mehr braucht? Was für eine verbale Demütigung! Er nahm zwar an, dass es anderen auch so ging, aber selbst wenn er sie privat in der U-Bahn traf, sprach er sie nicht an. Er wusste Freund von Feind nicht mehr zu unterscheiden. Er wusste nicht mehr, wer intrigierte, wer sich speichelleckend an den neuen Manager drängte, um sich in triefendem Opportunismus einen kleinen Fleck der Sicherheit einzuräumen.
    Natürlich versuchte er sich in der einen oder anderen Sitzung verstärkt einzubringen, seine Meinung kundzutun, aber je öfter er es versuchte, desto mehr wurde er zunächst zurechtgewiesen, dann belächelt und schlussendlich ignoriert. Er versuchte seine persönlichen Kontakte zur Leitung auszunützen, persönliche Termine zu erhalten, die ihm zunächst noch gewährt wurden, aber Zug um Zug wurde die Wartezeit immer länger und eines Tages bemerkte er, dass man ihn nicht mehr sehen wollte. Er begann sehr zeitig in der Früh ins Büro zu gehen und wenn die anderen kamen, zog er sich zurück. Er kam am späten Nachmittag wieder und verließ die Firma, die er seit Jahren geliebt hatte, erst spät in der Nacht. Er wollte die anderen
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