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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Autoren: Thomas Müller
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Schuhwerk und die Brille, die gestern noch ausgereicht hatte, um die Buchstaben lesen zu können. Der Rahmen verschwand, die Bügel wurden kleiner und die Sprache wurde moderner. Er verstand zunächst nicht, warum sich die Sprache änderte.
    Er war stolz auf seine Ausbildung. Er hatte noch Latein und Griechisch gelernt und er liebte es, saubere und in ihrer verbalen Güte hervorstechende Berichte zu schreiben. Es war ihm selbstverständlich, die Leute gemäß der Hierarchie ordentlich zu bezeichnen, ihre Titulierungen zu verwenden. Er war stolz darauf, einen Vorgesetzten zu haben, zu dem man aufblicken konnte. Er wäre nie auf die Idee gekommen, sich als verkorkst und altmodisch zu bezeichnen. Ja, er liebte sogar Neuerungen. Auch er hatte gewisse Dinge vereinfacht. Er selbst war damals dafür verantwortlich gewesen, als man begonnen hatte, neuere Computer einzuführen. Ja, auch er ging mit der Zeit und er nahm Veränderungen mit Witz und Humor. Das, so hatte seine Frau immer wieder gesagt, liebte sie so an ihm. Und jetzt hatte er das Gefühl, dass sie nichts mehr an ihm liebte. Er wusste ja nicht einmal mehr selbst, was man an ihm noch lieben könnte. Er konnte es nicht zugeben, aber er war gebrochen.
    Er war einfach nicht mehr mitgekommen. Es waren Dinge passiert, die er zwar beobachtete, aber er konnte sie nicht mehr begreifen. Plötzlich wurde aus einer Grundsatzbesprechung ein „Kick-off-Seminar“. Es ging nicht mehr um Handel, sondern um „E-Commerce“ und obwohl die Uhren immer noch die gleichen waren und die Zeit deswegen nicht anders vergehen konnte – das wusste er aus seinem Studium mehr als jeder andere –, schien sich plötzlich alles um ihn herum zu verselbstständigen. Es ging schneller und schneller und einfach – zu schnell. Am Anfang dachte er noch, es wäre eine Ausnahme.
    Er dachte auch kurze Zeit darüber nach, ein paar Tage auszuspannen, mit der Familie, zögerte dann aber, weil er nicht wusste, ob er nicht in dieser Zeit so viel versäumen würde, dass er nicht mehr die Zeit fände, alles rechtzeitig nachzuholen. Es wurden wichtige Dinge nicht mehr besprochen, sie wurden „gemailt“. Er liebte es noch, den Leuten in die Augen zu schauen, Probleme auf dem Tisch auszubreiten und eine gemeinsame Diskussion zu führen. Es wurde auch noch diskutiert, aber wie!
    Statt einer Sitzung gab es fünf, statt einer Problemstellung gab es plötzlich zwölf. Es schien ihm, als müsste plötzlich alles anders werden, und gleichzeitig fragte er sich, ob denn früher alles so schlecht gewesen war, dass man jetzt alles in drei-, vier-, zehnfacher Geschwindigkeit verändern müsste. Er verstand so vieles nicht mehr. Er wollte mit jemandem darüber reden, aber er getraute sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr. Er musste ja mithalten, er war in führender Position. War er deshalb ein Opportunist? Nein, er hatte seine Gedanken eingebracht. Er hatte manchmal auch mit Erfolg darauf hingewiesen, dass es wohl keine vernünftige Idee wäre, drei Dinge gleichzeitig zu beginnen, und man hatte seinen Worten noch Glauben geschenkt, bis er eines Tages damit argumentieren musste, dass er ja wohl „aus Erfahrung spreche“.
    Im Nachhinein betrachtet musste dieser Satz irgendetwas ausgelöst haben. Er konnte es nicht greifen, aber ab diesem Zeitpunkt drehten sich die Dinge noch schneller. Natürlich bekam er von der Geschäftsleitung einen Stellvertreter, als er einmal darauf hinwies, höflich, aber bestimmt, dass er nicht mehr alleine vernünftig und hochqualitativ sämtliche Problemstellungen bearbeiten konnte. Natürlich unterstützte man ihn. Der junge Mann war höflich und er hätte nicht sagen können, dass er ihn nicht leiden mochte. Er war vielleicht etwas zu bestimmend. Gut, die Mode war Geschmackssache, aber was ihm gleichzeitig gefiel, war die Schnelligkeit, mit der dieser Mann gewisse Dinge verstand und auch umsetzte. Er konnte sich auf ihn verlassen. Aber irgendetwas fehlte ihm selbst und lange wusste er auch gar nicht, was, bis ihn seine Frau eines Tages darauf aufmerksam machte. „Du hast dich verändert, ist irgendetwas passiert?“ Er liebte seine Frau und wollte sie nicht beunruhigen. „Nein“, meinte er, er sei nur etwas müde, es sei etwas viel gewesen in letzter Zeit. Er wusste, dass er log. Wie sollte er ihr denn auch erklären, dass er in seiner Position gewisse Dinge nicht mehr verstand?
    „… Orbits …“
    Er tat etwas, was er noch nie getan hatte. Er war stehen geblieben vor dem
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