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Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)

Titel: Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
Autoren: Thomas Müller
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hörten nicht mehr zu. So wie Leibacher schrie auch er nonverbal und mit tausend kleinen Zeichen: „Hört mich denn keiner? Versteht ihr nicht, dass es anderen auch so geht?“ Und jetzt leugnete er vor sich selbst. Leibacher war vielleicht ein Querulant – er nicht. Ja, er hatte sogar gelesen, dass Querulanten niemals zugeben können, dass sie Querulanten sind. Aber das störte ihn jetzt nicht mehr.
    Die Unterlagen waren vorbereitet, die technischen Geräte angeschlossen, seine Charts waren in Ordnung, nicht gelogen, sie waren fundiert und sauber, nicht so schön wie die anderen, prophezeiten keine glühende Zukunft mit ewigem Profit, aber es waren wertvolle Informationen, auf denen man aufbauen konnte. Aber würde ihm jemand zuhören?

48.

    Die Präsentation drohte in einem Desaster zu enden. Zunächst begann sie verspätet, um eine viertel Stunde. Er wusste, dass die Begründung, die man ihm gegeben hatte, schlichtweg gelogen war, aber er war vorbereitet. Dann war die Sitzordnung eine ganz andere. Der oberste Chef war gar nicht gekommen und der junge mit der Fistelstimme erklärte ihm, er sei im Auftrag des Chefs da, um ihm anschließend zu berichten. Dann begann man sich halblaut zu unterhalten über Dinge, die gar nichts mit seinem Vortrag zu tun hatten, und mehr und mehr hatte er den Eindruck, dass der Inhalt vollkommen unerheblich war. Er versuchte sie nach allen Regeln der Kunst in ein Gespräch zu verwickeln, sie einzubinden. Ja, er ging sogar so weit, dass er sie um Rat fragte. Aber sie quittierten seine taktischen Versuche, ans Ziel zu kommen, nur mit zynischem Gegrinse. Sie sprachen eine Sprache, die er nicht mehr verstand. Sie stellen Fragen über seine Charts nur, um ihre eigenen zu verteidigen. Ja, sie machten sogar Bemerkungen über sein Auftreten und seine Leistungen in letzter Zeit. Er wusste gar nicht mehr, ob er mit seinem Vortrag schon fertig war oder ob es noch inhaltliche Aspekte gab, die er sagen wollte. Aber es fiel ihm auf, dass man bereits auf die Uhr blickte und dass manch einer seine Unterlagen schon zusammenräumte, ohne jemals hineingeblickt zu haben. Und es war ihm, als ob sich die rechte Hand ganz automatisch in seine ausgebeulte Sakkotasche schob. Zumindest dieser Umstand hätte ihnen auffallen müssen. Unnatürlich schwer war das Sakko nach unten gezogen. Fünf Leute waren im Raum, mit ihm sechs. Es ging sich alles genau aus. Nichts würde so sein, wie es früher war. Und als sein Stellvertreter, der schon lang nicht mehr sein Stellvertreter war, begann, die beiden Glasscheibchen auf seiner Nase zu reinigen, die scheinbar nur durch einen hauchdünnen goldenen Draht am Herunterfallen gehindert wurden, und die Fistelstimme beide Handflächen auf den Tisch legte, um damit symbolisch zum Ausdruck zu bringen, die Besprechung sei beendet, verkrampfte sich seine Rechte immer mehr und er spürte, wie sich das ölige Eisen nahezu perfekt in seine Hand schmiegte.

    Vielleicht war es die Sonne, die gerade die Wolken durchbrach und den Tisch, auf dem er sich mit der Linken abstützte, heller als sonst beleuchtete. Vielleicht war es der Umstand, dass er spürte, wie ihm eine Träne über die Wange lief, vielleicht, weil er innerlich verspürte, noch einen Satz sagen zu müssen.
    „Es tut mir leid, ich wollte es nicht.“
    Jedenfalls wandte er den Kopf nach rechts und blickte aus dem Fenster. Er sah die Stadt unter seinen Füßen in gleißendes frisches Licht getaucht und er spürte, wie er diese Wahrnehmung plötzlich mit seinen Kindern teilen wollte. Er hatte sich in letzter Zeit immer öfter Gedanken darüber gemacht, welche Gefahr darin bestand, dass Kinder ihre natürliche Abenteuerlust nicht mehr in den Wäldern und Wiesen auslebten, sondern in den virtuellen Welten der EDV-Techniker. Er hatte gespürt, wie die wenige Zeit, die er mit ihnen verbrachte, ihm immer schwerer fiel, weil auch sie bereits begannen, eine andere Sprache zu sprechen. Es schmerzte ihn, dass er nicht mehr Zeit hatte, um seine Erfahrung an die nächste Generation weiterzugeben, und er hätte ihnen so gern eine Geschichte vor dem Einschlafen vorgelesen. Er erinnerte sich daran, dass er solche Geschichten gern gehört hatte, bevor er sich umdrehte und in den kindlichen Schlaf sank.
    Er hörte nicht mehr, wie die anderen den Raum verließen. Er presste nur noch seine Stirn auf die kalte Scheibe und spürte, dass sein Lebensgefühl wieder in ihn zurückkehrte. Was hätte er denn seinen Kindern sagen sollen, wenn er
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