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Besser

Besser

Titel: Besser
Autoren: Doris Knecht
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Einmal rundherum, dann unter der Schnur durch, in einer kleinen Schlinge, dann wieder um das Fleisch, dann wieder unter der Schnur durch. Ein dicker Zweig Rosmarin ragt aus dem zusammengerollten Fleisch. Das Hazan-Kochbuch liegt aufgeschlagen auf der Kücheninsel.
    «Ach so geht das», sagt Adam muffig.
    «Ja, so geht das. Habe ich von Kurt gelernt.» Jess, von Kurt, deinem Zweitlieblingskoch, das muss dich doch …
    «Okay, gib her.» Es stimmt ihn gleich hörbar milder, dass ich das Bratenwickeln auch nicht in der Genetik habe. Sondern erst lernen musste, in dem Kurs, den er mir geschenkt und bezahlt hat, er. Jetzt ist es in Ordnung für Adam, er bleibt der Bestimmer, so ist es richtig.

    Er wickelt weiter und verpackt den Braten sofort wie ein Profi, in perfekten Abständen schneiden die Schnüre in das Fleisch ein. Wenn Adam etwas macht, muss es richtig sein oder zumindest schön ausschauen. Das, und beinahe nur das, macht ihn unrund: wenn er etwas nicht kann, wenn etwas nicht sofort so gelingt, wie es gehört. Und, ach ja, Hundescheiße auf der Straße, da zuckt er aus. Allerdings hat er’s auch nicht gern, wenn ich etwas besser kann. Ich schaue zu, wie er das Fleisch auf dem Brett dreht, öffne den Schrank und zähle vierzehn Teller herunter, hebe sie heraus und denke an drei Stunden vorher. Meine Haut, seine Haut. Manchmal ist die Erinnerung besser als die Realität. Die Erinnerung verklärt alles, lässt das Unangenehme verschwinden, die Dissonanzen, die Kanten. Die Erinnerung macht mich verliebt. Und geil. Ich würde mich jetzt gern in Ruhe ein bisschen erinnern.
    «Die nimmst du? Die Oma-Teller? Willst du nicht lieber das schöne neue Geschirr nehmen?»
    Nein, will ich eigentlich nicht, sonst hätte ich das neue nämlich genommen. Andererseits ist es mir einerlei. Teller egal. Ich hatte meinen Nachmittag. Ich verfüge heute über ein enormes Potenzial an Großzügigkeit.
    «Mir ist es wurscht. Wie es dir gefällt.»
    «Na, nimm halt dein Oma-Geschirr, wenn du es so gern hast.»
    «Nein, ganz egal, im Ernst.»
    Ich schiebe die Blümchen-Teller wieder in den Schrank und zähle daneben acht von den großen flachen Iittalas herunter und acht von den kleineren, olivgrünen, die es nicht mehr gibt. Nach denen ich an den Tagen, an denen ich vorgeblich im Atelier an meiner Kunst arbeite, im Internet suche, in irgendwelchen obskuren Shops, die noch Restbestände lagern und sie überteuert verkaufen. Mit so etwas kann man seine Zeit verbringen, doch. Ich stelle die Teller auf den Tisch, schiebe Adam zur Seite, der das hasst, und nehme aus einer großen Lade noch sechs von den sonnengelben, viereckigen, unzerstörbaren Melamin-Tellern, für die Kinder.
    «Ich hab gerade noch Mirkan getroffen.» Mirkan ist unser Hausmeister. Er und Alenka wohnen in der Erdgeschosswohnung, sie haben eine einjährige Tochter, Adile, die Mirkan vergöttert. Er war gerade mit ihr im Hof, als ich zur Haustüre hereinkam, ich hatte kurz mit Mirkan geplaudert und mit Adile gescherzt. «Adile ist wahnsinnig süß.»
    «Das Baby?»
    «Ja, das Baby.» Adam kann sich keine Namen merken, manchmal wundere ich mich, dass er die Namen seiner eigenen Kinder nicht vergisst. «Die Frau heißt Alenka.»
    «Weiß ich doch.»
    «Aber die findest du vielleicht süß.»
    «Nein. Zu dünn.»
    «Aha.»

    Jetzt fünf Minuten für mich. Fünf Minuten unter der Bettdecke. Fünf Minuten Autonomie, bevor ich wieder nur Frau und Mutter bin, Mutter und Frau. Fünf Minuten, bevor ein Rudel hipper junger Eltern bei uns einmarschiert, mit denen ich hippe Jung-Eltern-Gespräche führen werde, als wäre ich genauso wie sie. Sie denken, ich sei genauso. Aber das bin ich nicht. Ich bin jemand, der sich jetzt gern irgendwo verkriechen und sündigen Gedanken nachhängen würde. Das könnte ich jetzt brauchen, das wäre jetzt … Draußen im Flur macht es einen Rumpler, dem bitteres Wehgeschrei folgt. Der Kleine hat die Entfernung zur Wand offenbar falsch eingeschätzt. Ich werfe das gerade aus der Lade gezählte Besteck auf den Tisch und laufe hinaus. Hebe Juri hoch, drücke ihn an meine Brust, bette seinen Kopf an meine Schulter, streichle seinen Rücken. Er ist ein kompaktes, blondes, eher grobschlächtiges Kind mit einem Bauerngesicht, er hat nichts von Adam. Ich setze mich mit ihm aufs Sofa, bette ihn auf meine Knie, tröste ihn, tätschle seinen Bauch. In meiner Tasche, drüben auf der Küchenbank, höre ich mein iPhone galagang machen. Ich blase auf seinen wehen Fuß.
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