Besser
bestimmt.»
«Nein. Du bist betrunken.»
«Nicht mehr als du. Da, ich spür doch, wie du willst.»
Soso. Tut er das. Na gut. Hmm. Na gut, okay, dann will ich halt.
[zur Inhaltsübersicht]
Drei
Die Vergangenheit riecht nach Schweiß und trägt jetzt eine Brille, die für ihr Gesicht zu klein ist. Das Gesicht ist schlecht rasiert und deutlich mehr geworden, die Wangen sind fleischig jetzt, das Kinn ufert aus. Die Vergangenheit hat sich verändert; was früher scharf war, ist nun schwammig, was einmal blond strahlte, ist stumpf und grau jetzt, wo früher Lücken klafften, sind jetzt Zähne, gelb, aber da, nur die Narbe rechts vom Kehlkopf sieht noch genauso aus wie früher. Die Vergangenheit ist fahrig und nervös, dann wird sie ungut, dann geht sie grußlos. Du sitzt hinter deinem Caffè Latte und schaust ihr zu, wie sie mit einem Ruck aufsteht, wie ihr Stuhl zornig zurückzuckt und irgendwie verdreht stehenbleibt, zufällig und falsch, wie eine verrenkte Katze auf der Fahrbahn. Oder wie der Hund, der einmal am Bürgersteig tot umfiel, als du gerade mit den Kindern in der Straßenbahn vorbeifuhrst. Der Hund kippte einfach nach rechts, hing noch an der Leine, eindeutig tot, und du erinnerst dich daran, wie sein Frauchen neben dem toten Hund stand und verständnislos auf ihn hinuntersah und dann über die Straße und dann wieder auf den Hund, du erinnerst dich an die vollkommene Fassungslosigkeit in ihrem Gesicht, an all das erinnerst du dich, während du versuchst, das Zittern zu unterdrücken, das schon die ganze Zeit durch deinen Körper rast, während du zuschaust, wie die Vergangenheit in verwaschenen, weiten, schlechtsitzenden Jeans und in einem billigen schwarzen Nylon-Blouson aus dem Kaffeehaus marschiert, ohne zu bezahlen. Ohne sich umzusehen. Die Vergangenheit fährt sich heftig mit der Hand in die wenigen, schlecht geschnittenen Haare und stößt die Drehtür auf und wird auf die Straße hinausgekotzt, und dann geht sie am Fenster vorbei, den Blick entschlossen in eine Ferne gerichtet, in der du nicht bist. In der dein Anblick nicht stört und deine Worte niemanden wütend machen. Es ist merkwürdig. Ungerecht. Du hast die Vergangenheit nicht gerufen, du wolltest sie nicht in deiner Gegenwart, du bist ihr immer ausgewichen, hast dich vor ihr versteckt in deinem neuen Leben. Dann stiegst du in ein Taxi, und da saß sie, die Vergangenheit, auf dem Fahrersitz. Du hast sie erst nicht erkannt, so von hinten, aber sie sah dich im Rückspiegel und erkannte dich, trotz deiner Haare, trotz deiner Nase. Und jetzt, wo sie sich gezeigt hat, durch einen Zufall, wo du ihr begegnet bist und dich, nur für ein paar Minuten, nur einen Kaffee lang, auf sie eingelassen hast, ist sie mit einem Mal so präsent, dass es dir die Brust eng macht. Du willst den Kragen aufreißen, der dich würgt, aber du trägst ja einen leichten, lockeren Pullover mit Wasserfall-Ausschnitt, und du spürst, wie dein Atmen zu wenig Luft in deine Lunge pumpt, zu wenig, zu wenig. Es macht dich nervös, dann macht es dich panisch. Luft. Viel mehr Luft. Du willst dich jetzt beruhigen. Es ist nichts passiert, gar nichts passiert, alles ist total okay. Einfach atmen, langsam weiteratmen. Es war alles in Ordnung bisher und es wird weiter in Ordnung sein. Er ist weg. Er weiß nicht, wo du wohnst, du hast ihm nichts erzählt. Tief durchatmen, so sagt man doch, tief in den Bauch hinein. Es war ja überhaupt nichts. Du hast die Vergangenheit getroffen, zufällig, jetzt ist sie wieder weg und du machst einfach ganz normal mit der Gegenwart weiter. Nichts ist passiert. Nichts hat sich verändert. Es ist alles okay, alles okay. Du zündest dir eine Zigarette an, inhalierst in deinen viel zu kleinen Brustkorb, in deine winzige Lunge, im Blick das Fenster, durch das du eben noch die Vergangenheit gesehen hast. Sie könnte zurückkommen. Sie kommt nicht zurück, das Fenster füllt und leert sich mit Männern und Frauen und Kindern, die nichts mit dir zu tun haben. Du rauchst und starrst, das Fenster bleibt unberührt von dem Bild, das du fürchtest. Du ziehst, drückst deine Zigarette aus, ihr ungerauchter Rest krümmt sich im Aschenbecher. Du stehst jetzt auf, schiebst deinen Stuhl zurück, lässt deine Zigaretten auf dem Tisch liegen und das Feuerzeug, du packst deine Tasche, du gehst an den Tischen vorbei und schau, niemand blickt hoch. Es ist alles ganz normal. Alles an dir ist ganz normal. Niemandem fällt etwas auf, alle Gesten, Gespräche, Geräusche
Weitere Kostenlose Bücher