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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman
Autoren: Thea Dorn
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aus dem hellrot das Blut sickerte. Die scharfe Klinge rutschte langsam in seine Jeans, und nachdem sie auch diese zerschnitten hatte, schob sie sich in seine Unterhose. Peers Unterleib zitterte schwach, als der kalte Stahl sich an seinen Leisten entlangtastete. Baumwollstoff riß. Aus dem Nachbarklo erklang tiefes Männerlachen.
    Peers Muskeln hatten sich in Erwartung des Ungewissen verkrampft, als ein breiter Ledergürtel mehrmals auf seinen Bauch herabschnellte. Er schrie auf wie ein geblendetes Tier. Aus der kleinen Wunde auf seinem Bauch spritzten wenige Bluttropfen. »Sie haben ihn umgebracht.«
    »Nein, er hat sich selbst umgebracht.« Der Gürtel zeichnete weiter seine Striemen auf Peers Fleisch.
    Die Handschellen klirrten. »Die Philosophen haben Zarathustra aus ihm gemacht. Sie haben ihn umgebracht. «
    Außer dem gleichmäßigen Schnalzen des Ledergürtels herrschte für eine Weile absolute Stille. Durch das
zerbrochene Klofenster strömte der kalte Luftzug. Rot leuchteten die Striemen auf Peers Haut. Die Lippen unter der breiten Lederbinde begannen sich stumm zu bewegen, bis aus dem blinden Gemurmel Wörter wuchsen. »Rot. Blut. Alles war rot, als ich in sein Zimmer gekommen bin. Der Teppich war blutgetränkt. Das weiße Bettuch, auf dem er lag: blutgetränkt. Er hatte sich beide Pulsadern aufgeschnitten. Blut. So viel Blut. Überall.«
    Der Gürtel peitschte weiter. Im Rhythmus der Schläge warf Peer seinen Kopf hin und her. Seine Stimme steigerte sich. »Auch die Buchstaben an den Wänden: rot! WICHTIG NEHMEN ALLE DAS STERBEN. ABER NOCH IST DER TOD KEIN FEST. NOCH ERLERNTEN DIE MENSCHEN NICHT, WIE MAN DIE SCHÖNSTEN FESTE WEIHT. Dieser Satz! Große rote Buchstaben! So viele Buchstaben, mit seinem Blut.«
    Der Ledermann lachte hart auf. »Die Wahrheit ist im Fragment.«
    Peer zerrte an seiner Kette. »Dieser Satz hat ihn wahnsinnig gemacht. Diese Buchstaben. Es hat ihn umgebracht. In dem Zimmer: überall brannten noch Kerzen. Champagnerflaschen lagen herum. Der ganze Boden war mit Rosen bedeckt. An den Wänden hingen Blumengirlanden. Musik lief. Und er selbst: auf diesem weißen blutigen Laken. Er hatte sich schön gemacht. Mit einem roten Korsett und roten Strapsen. Rote Netzstrümpfe. Rote Lackpumps. Er hatte sich eine blonde Lockenperücke aufgesetzt. Und einen Kranz aus Weinlaub.« Peer schrie auf. »Sie hatten kein Recht, ihn mir wegzunehmen. Er hat mir gehört.«
    Der Gürtel pfiff mehrere Male kurz hintereinander durch die Luft.

    »Schreiner mußte weg. Er hat ihn mir weggenommen. Er hatte kein Recht dazu. Er hatte kein Recht, ihn wahnsinnig zu machen.« Peers Körper bäumte sich auf. »Aber Schreiner hatte sein Todesfest. Seine Todesorgie. Rot! Rot! Noch viel mehr rot! Er ist in seinem Blut ersoffen. Ich habe ihn gezwungen, er mußte es mitansehen. Erst die Arme, dann die Beine. Rechts. Links. Rechts. Links. Immer noch ein Stück. Und Champagner dazu. Viel Champagner.« Peers Knie sackten ein. Er brach in hysterisches Schluchzen aus. Sein Körper zuckte immer noch im Takt der Hiebe, obwohl der Gürtel gleich einem toten Reptil auf dem feuchten Kachelboden lag. Erst als zwei lederbehandschuhte Hände zwischen seine Beine griffen und eine dünne Lederschlaufe mit kleinen Nadelspitzen über seinen Schwanz stülpten, hielt er abrupt still.
    »Geh zum Teufel, verdammte Fotze!« Peer trat blind nach der Ledergestalt. Er brüllte vor Schmerz auf, als er von der Kloschüssel abrutschte, sich die Kette der Handschellen mit einem Ruck spannte, und sein ganzes Gewicht an den gestreckten Armen hing. »Alles hat funktioniert. Warum hast du deine gottverdammte Nase in die Sache gesteckt! Schreiner war weg. Lux war weg. Keiner hat etwas gemerkt. Warum bist du nicht krepiert! Warum!« Die Wut brachte Peer in Erregung. Die feinen Nadelspitzen begannen, sich in sein Fleisch zu bohren.
    Die Hand, die das andere Ende des schmalen Lederbandes hielt, verstärkte ihren Zug. »Warum Rebecca Lux?«
    Es dauerte eine Weile, bis Peer zu reden begann. Die Worte kamen stockend. »Mit ihr hatte alles angefangen. Sie wollte seine Magisterarbeit nicht annehmen.
Ich war damals bei ihr in der Sprechstunde. Sie sagte, er sei unbegabt. Sie hat ihn verletzt. Mit ihr konnte man nicht reden.« Der Zug an dem Lederriemen wuchs. »Dienstag nacht hat sie mich angerufen. Sie ahnte, daß ich Schreiner vernichtet habe.« Die Abstände zwischen den einzelnen Sätzen wurden größer. »Ein ruhiger Tod. Ein stiller Tod. Sie hat sich nicht
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