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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman
Autoren: Thea Dorn
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blieb einen Moment über Maier-Abendroth gebeugt stehen. »Nein? Na gut, Sie haben es so gewollt.«
    Sie richtete Maier-Abendroth wieder auf, um ihr Knie von schräg unten zwischen seinen Beinen landen zu lassen. Wimmernd, mit gefalteten Händen vor der Cordhose krümmte er sich auf dem blanken Dielenboden. Anja betrachtete ihn eine Weile. Es amüsierte sie immer wieder von neuem, wie leicht dieser kleine Schwellkörper, aus dem Männer ihr vermeintliches Selbstbewußtsein bezogen, sich als ihre Schwachstelle enttarnte. Als Frau mit jederzeit zuverlässiger, ab- oder anschnallbarer Lederprothese war man entschieden besser dran.
    Anja schaltete das Diktiergerät aus, packte ihre Handtasche, die noch auf dem Küchentisch lag, und ging in Richtung Tür. Mit einem durchaus milden Lächeln drehte sie sich auf der Schwelle noch einmal um. »Willi, wir sehen uns!«

HOLZWEGE
    Der Nebel hatte sich inzwischen über die ganze Niederlausitz ausgebreitet. Leise pfeifend fuhr Anja beim Dreieck Spreewald wieder auf die Autobahn oder genauer: auf das, was hier Autobahn genannt wurde. Sie vermutete, daß es die ostdeutsche Variante von russischem Roulette war, mit dem Trabi über die zehn Meter langen, kopfsteingepflasterten Auffahrten zu holpern und dann im ersten Gang auf die Autobahn einzubiegen — nun ja, mit Hektor sollte sie das nicht weiter stören.
    Anjas gute Laune wurde ein wenig durch Sorgen um Hektor getrübt, irgend etwas mit der Elektrik schien nicht in Ordnung zu sein. Beim Zünden war keine der Kontrollampen angegangen, offensichtlich gab es irgendwo einen Kurzschluß — aber wen wunderte das schon bei diesem feuchten Wetter. Andererseits hatte Hektor noch nie einen organischen Schaden gehabt, nur der elektrische Fensterheber und das Radio hatten einmal Mucken gemacht. Da sie aber in Lübbenau für Hektor nichts tun konnte und am Montag wegen des Sterns sowieso in ihre Werkstatt mußte, hatte Anja beschlossen, die Fahrt nach Berlin ohne Kontrollampen anzutreten.
    Anja überholte zwei Trabis, die auf der rechten Spur durch den Nebel krochen. Sie hatte auf ihrem Tonband zwar noch nicht das gewünschte Geständnis, aber über kurz oder lang würde sie Maier-Abendroth schon zur
Raison bringen. Sie bedauerte, daß sie das Geheimnis der Lippenstiftgläser nicht hatte lüften können. Auch ein dezenter Blick unter den Küchentisch hatte leider keine roten Lackpumps in Größe fünfundvierzig oder ähnlich eindeutige Requisiten offenbart.
    Anja versuchte sich auszumalen, wie Maier-Abendroth vor einer ein Meter neunzig langen Domina-Transe auf dem Küchenboden herumrutschte und um Bestrafung für seine Sünden bettelte. Kein schlechtes Bild. Vielleicht verbarg sich hinter der geschlossenen Holztür kein bäuerliches Schlafzimmer, sondern eine Folterkammer mit Kreuz, Käfig, Stahlketten und allen Raffinessen. Anja ärgerte sich, daß sie Maier-Abendroth nicht gefragt hatte, welche Form von Sündenablaß er im zwanzigsten Jahrhundert für die gemäße hielt. Sie steckte sich mit dem Zigarettenanzünder eine Prince Denmark an.
    Wenn Maier-Abendroth Schreiner zerlegt hatte, dann sicher in diesem Hinterzimmer. Er hatte seinen Kollegen zu einem gelehrten Wochenenddiskurs eingeladen und ihn dann ans Kreuz gehängt. Maier-Abendroth heizte mit Holz, und wo es Ofenholz gab, gab es auch Sägen und Äxte. Anja fragte sich, ob er Schreiner lebendig zerlegt oder vorher auf andere Weise ins Jenseits befördert hatte. Immerhin waren unter dem Gulasch im Institut keine Kleiderfetzen gewesen. Das sprach dafür, daß sich Maier-Abendroth mit seinem Kollegen vorher schon vergnügt hatte. Anjas Gedanken wurden unterbrochen, gerade als sie überlegte, ob Schreiner zunächst von unten nach oben in zwei Hälften zerlegt worden war.
    Nur schemenhaft, aber dennoch erkennbar, kam über die Auffahrt ungefähr hundert Meter vor ihr ein
Trabi im ersten Gang geschlichen, blinkte einmal nervös und zog auf die Fahrbahn herüber. Anja trat mit voller Kraft in die Bremsen — nichts. Mit unverminderter Geschwindigkeit raste Hektor auf den himmelblauen Trabi zu. In letzter Sekunde riß Anja das Lenkrad nach links. Die Zigarette fiel ihr aus der Hand und brannte ein Loch in ihre Hose. Aber sie hatte keine Zeit, den Schmerz zu spüren, denn Bruchteile von Sekunden später schoß Hektor durch die Leitplanken, schleuderte über die beiden Gegenfahrbahnen und krachte ins Unterholz.
    Aus den Kiefernwipfeln flog laut schimpfend ein Schwarm Krähen
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