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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman
Autoren: Thea Dorn
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aufeinanderschlagen.
    Der Clochard schlug seinen Schlafsack zurück und
funkelte sie aus farblosen Augen böse an. Seine Stimme überschrie den Sturm. »Ich habe den Übermenschen gesehen. Er kommt in der Nacht. Er hat Zarathustra gerächt.« Fridtjof griff nach einer Tasse aus seiner Geschirrtüte und warf sie nach Anja. »Hau ab! Hau ab!« Die Lippe über den fehlenden Schneidezähnen zuckte. Weißer Speichel lief rechts und links aus den Mundwinkeln. »Ich habe den Übermenschen gesehen. Verschwinde! Er ist gekommen! Verschwinde!«
    Mit blutender Schläfe floh Anja unter einem Hagel aus Mensageschirr.

ILLUMINATIONEN
    Die Kacheln im Badezimmer waren beschlagen, und Anja malte unbestimmte Muster in den Wasserdampf. Mit ihren Knien stieß sie hin und wieder ein kleines rotes Plastikentchen an, das auf dem Wasser trieb. Die Eukalyptusdämpfe waren atemberaubend.
    »Anja, bist du denn völlig übergeschnappt. Nach dem, was gestern passiert ist, und bei diesem Wetter mit der U-Bahn an das verdammte Institut zu fahren. Wenn du dich unbedingt umbringen willst, dann tu das bitte, ohne daß ich es mitansehen muß.« Susanna schüttelte die Hose von Anjas klatschnassem Anzug aus und hängte sie über eine Wäscheleine. »Hättest du nicht wenigstens irgendwas Wärmeres anziehen können. Du hast dir sicher den Tod geholt.«
    Anja ließ sich mit dem ganzen Körper unter Wasser sinken. Susannas Stimme verschwand unter dem überlauten Klopfen in irgendeiner Wasserleitung. Zarathustra. Der Übermensch. Vielleicht war Fridtjofs Gerede nur dunkler Wahnsinn. Vielleicht aber auch nicht. Sie hätte damals den »Zarathustra« gründlicher lesen sollen.
    »Anja, hörst du mir überhaupt zu.« Susannas lange schmale Hände mit den blutroten Fingernägeln holten Anjas Kopf aus dem Wasser. »Mach den Mund auf. Von den Tropfen hier nimmst du jetzt jede Stunde einen Teelöffel. Das stärkt die Abwehrkräfte.«
    Anja ließ sich einen Löffel von Susannas hochprozentiger Biomedizin einflößen.

    »Was hast du da denn an der Schläfe. Das ist ja Blut. Hast du dich schon wieder mit jemandem geprügelt.« Aus dem kleinen weißen Drogerieschränkchen holte Susanna ein Heftpflaster, das sie Anja über die Augenbraue klebte. »So, und jetzt kommst du aus der Wanne raus, gehst ins Bett, und ich mache dir warme Wickel. Hopp!« Mit einem energischen Griff zog Susanna den Stöpsel aus der Badewanne, und das Wasser sammelte sich über dem Abfluß zu einem gurgelnden Strudel.
    »Susanna, hast du zufällig ›Zarathustra‹ da?«
    Die Freundin hatte gerade begonnen, Anjas Rücken mit einem großen pinkfarbenen Frotteehandtuch trokkenzurubbeln. »Was soll ich dahaben?«
    »Nietzsche. ›Also sprach Zarathustra‹.«
    »Nö, glaube nicht. Außerdem brauchst du jetzt keinen Nietzsche. Du gehst erst mal ins Bett und ruhst dich aus. Umdrehen!« Susanna widmete sich Anjas Vorderseite.
    »So.«
    Anja zwängte sich in den ebenfalls pinkfarbenen, viel zu engen Frotteemantel, den Susanna ihr hinhielt. Irgendwo mußte sie einen »Zarathustra« herbekommen. Susanna knotete den Gürtel des Bademantels zu. »Geh schon mal ins Schlafzimmer. Ich komme gleich nach.«
    Anja wartete, bis Susanna in der Küche verschwunden war, dann folgte sie barfuß dem Telefonkabel ins Wohnzimmer. Der Apparat stand auf dem Klavier. Ulf sollte ihr »Zarathustra« vorbeibringen.
    Nach endlosem Läuten wurde der Hörer abgehoben. »Hallo? Hier bei Ulf.«
    »Peer? Ich will Ulf sprechen.«
    Nach einer kurzen Pause des Schweigens wurde die
Stimme ironisch. »Ich weiß nicht, ob Ulf ans Telefon kommen kann – «
    »Es ist mir scheißegal, was ihr da gerade treibt. Gib mir Ulf. Es ist wichtig.«
    Anja hörte, wie Peer den Hörer weiterreichte. »Ulf, tut mir leid. Anja ist dran. Sie will unbedingt mit dir reden. Sie sagt, es ist wich – «
    Eine Stichflamme durchschoß ihr Gehirn. Die Stimme. Rebeccas Anrufbeantworter. Aus dem gleißenden Licht in ihrem Schädel blickten sie die stahlblauen Augen des Übermenschen an.

LETZTBEGRÜNDUNG
    Wie an jedem Sonntag, so herrschte auch diese Nacht in »Toms Bar« kein übermäßiger Betrieb. Das Wochenende hatte sich ausgetobt, und nur die wenigen, die nichts abbekommen hatten oder glaubten, nie genug zu bekommen, räkelten sich auf den Barhockern am langen Tresen. In der Nähe des Eingangs saß der Pokkennarbige im Rippenstrick-Unterhemd, der dort jeden Sonntag saß. Der blonde Boy hinter dem Tresen stapelte gelangweilt Bierflaschen in die Kühltruhe.
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