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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman
Autoren: Thea Dorn
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metallenem Geländer und schließlich über eine schmale Galerie. Anja hatte sich schon immer gefragt, wie es dieses Gebäude fertigbrachte, trotz der großen Glasflächen innen so düster zu wirken. Die Beleuchtung aus nackten Glühbirnen, die von Metallgittern
nur spärlich bedeckt waren, verstärkte eher den Eindruck der Dunkelheit, als daß sie wirklich für Licht gesorgt hätte. Der Architekt mußte den Spruch, daß die Eule der Minerva ihren Flug erst mit der Dämmerung beginnt, wörtlich genommen haben.
    Eigentlich hatte sich Anja geschworen, nie wieder ein Philosophisches Institut zu betreten, dieses nicht und auch kein anderes. Aber der Anruf, der sie heute morgen aus dem Bett geklingelt hatte, ließ sie ihrem guten Vorsatz untreu werden. Rebecca Lux, Direktorin dieser Anstalt, Spezialistin für antike Philosophie und Anjas ehemalige philosophische Lehrerin, hatte sie in einem keinen Widerspruch duldenden Tonfall gebeten, sofort herzukommen. Da Rebecca sehr wohl von Anjas Einstellungen hinsichtlich des Instituts wußte, war anzunehmen, daß etwas wirklich Schwerwiegendes geschehen sein mußte. Anja vermutete, das Schwerwiegende nun im Erdgeschoß gesehen zu haben, aber so richtig verstand sie nicht, was sie in dieser Angelegenheit sollte.
    Anja wollte gerade an Rebeccas Zimmer anklopfen, als am anderen Ende der Galerie eine Tür aufflog. Heraus stürmte eine schlanke, blonde Frau in schwarzer Stretchhose und roter Bluse, mit einem großen Stapel Büchern unter dem Arm. Anja erkannte ihre feministische Erzfeindin früherer Tage sofort wieder. Soviel sie wußte, hatte Petra Uhse an diesem Institut inzwischen Karriere als Assistentin gemacht, ebenso wie Hugo Lévi-Brune, der nun in der Tür erschien. Sein altmodischer, großkarierter Anzug und die schwarze Lockenkrause seiner Halbglatze flatterten, als er Petra Uhse hinterhereilte. Diese erreichte die Treppe zum Foyer, ohne Anja zu beachten. Um ihre verkniffensinnlichen
Lippen herum zuckte es. »Was soll das heißen, ›ich kann jetzt nicht kopieren‹? Ganz im Gegenteil – jetzt kann ich endlich in Ruhe kopieren.«
    Hugo stolperte hinter Petra die Treppe hinunter. Sein Unterkiefer zitterte erregt. »Petra, du wirst doch nicht ich meine: äh Schreiner – er ist doch immer noch da – «
    Die Angesprochene blieb abrupt stehen und drehte sich mit ausgestellter Hüfte um. »Ja und? Da in den Postfächern stört er mich weniger, als wenn er mit seinem Nietzsche-Quatsch stundenlang den Kopierer belegt. « Petras Lippen kräuselten sich verachtungsvoll lasziv. »Hast du dir eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, wieso es immer die Formal-Logiker sind, die zu so einem irrationalen Pietätsgedusel neigen? «
    Hugo führte ein stummes Mundballett auf, während Petra ihren Marsch zum Kopierer fortsetzte.
    Da dies der Abgang der beiden zu sein schien, klopfte Anja nun an Rebeccas Tür und öffnete, ohne auf ein »Herein« zu warten. Rebecca Lux stand mit dem Gesicht zum Fenster. Einige verirrte Sonnenstrahlen umspielten die Silhouette der mittelgroßen, knochigen Gestalt im eleganten schwarzen Seidenanzug. Anja blieb in der Tür stehen. Der Seidenstoff um Rebeccas schmalen Rücken schimmerte matt. Anja war sich sicher, Rebecca niemals in einer anderen Kleidung gesehen zu haben. Diese schwarzen Anzüge strahlten dieselbe Strenge und Klarheit aus wie ein korrekter Syllogismus.
    Anja sah wieder das Bild vor sich, als sie das erste Mal in Rebeccas Sprechstunde gekommen war. Die Professorin hatte so dagestanden wie jetzt, mit dem
Rücken zur Tür, die linke Hand auf den Ebenholzstock mit Silberknauf gestützt, das seit Geburt leicht kürzere linke Bein nach hinten angewinkelt. Aber das erste Bild lag fast fünfzehn Jahre zurück, Rebeccas damals pechschwarze Haare waren silberweiß geworden. Anja riß sich von dem Anblick dieser Allegorie reiner Vernunft los und zog die Tür hinter sich mit einem leisen Knall zu. Rebecca Lux fuhr herum. »Ach, du bist es.«
    »Hast du jemand anderen erwartet?« Anja ließ sich in einen der dunkelbraunen Institutssessel fallen. An einigen Kanten quoll aus dem zerschlissenen Stoff die Füllung hervor.
    »Nein.« Rebecca ging leicht hinkend zu dem anderen Sessel und ließ sich umständlich nieder. Anja war fest davon überzeugt, daß Rebeccas Gehbehinderung mehr Teil ihrer Vorstellung von philosophischer Existenz denn wahrhaft anatomisches Leiden war. Rebecca zog eine Packung Roth-Händle aus ihrer Blazertasche, klopfte sich eine
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