Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das andere Ufer der Nacht

Das andere Ufer der Nacht

Titel: Das andere Ufer der Nacht
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
Der Balkon an der Burgmauer war nur klein und besaß ein halbrundes Stützgitter aus angerostetem Gusseisen. Der Blick von diesem kleinen Vorbau war furchteinflößend, denn die Höhe konnte nicht einmal geschätzt werden. Zudem verlor sich der Grund in der Finsternis. Ich stand auf dem Absatz und hatte die Hände auf das Gitter gelegt. Der Wind brachte den eigentümlichen Geruch der Sierra mit. Unter und vor mir wuchsen die Felsflanken in grandiosen Formationen bis hin zu der weiten Ebene, wo die kleine Ortschaft lag, die in diesem Augenblick in einem Regen von Farben zu explodieren schien. Es war das Feuerwerk, von dem ich ebenfalls gehört hatte. Ein herrliches Bild bot sich mir, denn die Dunkelheit teilte sich in zahlreiche Farbstreifen auf, die in den Himmel stiegen, um dort zu gewaltigen ›Blumen‹ zu zerplatzen.
    In langen Bahnen fielen die Feuerwerkskörper wieder zurück, glühten noch einmal stärker auf und erreichten den Boden, bevor die nächsten Blumen in die Höhe stiegen und das Schauspiel von vorn begann. Ich schaute zu. Dabei fand ich es faszinierend, auf dem Balkon zu stehen, in die Finsternis zu starren und den farbigen ›Regen‹ zu beobachten, der den Himmel erhellte.
    Feuerwerke kannte ich von Jahrmärkten her, aus Großstädten, aber auf dem Land oder den Ausläufern der Gebirge, wie hier im Süden von Spanien, hatte ich sie noch nicht gesehen.
    Man feierte. Welches Fest, wusste ich nicht. Die Menschen waren glücklich. Lange, entbehrungsreiche Wochen lagen hinter ihnen, jetzt entlud sich die Spannung, und die Bewohner der kleinen Ortschaft würden sich über drei Tage lang in einem wahren Rausch befinden. Das alles hatte man mir berichtet.
    Die dumpfen Explosionen der zerplatzenden Feuerwerkskörper erreichten meine Ohren und hörten sich an wie das Knattern eines fernen Gewehrfeuers.
    Die Burg lag im Dunkel. Gelegentlich erreichte das Gemäuer ein fahler, flackernder Schein, der aber nicht in die Tiefen der Schluchten hineindrang, wo der Fluss durch die engen Kehren schoss und das Wasser an den Rändern zu hohen Gischtwolken aufschäumte. Ich wollte eine Zigarette rauchen, schaute dabei auf die Uhr und stellte fest, dass es bis Mitternacht noch über zwei Stunden Zeit war. Auch ich war erst gegen 23.00 Uhr geladen und musste mir bis dahin die Zeit vertreiben.
    Meine Hand blieb in der Tasche stecken, die Finger umfassten die Schachtel, zogen sie aber nicht hervor, denn ein leichtes Vibrieren ließ den Balkon erzittern. Ich senkte den Blick. Die Plattform war klein, halbrund angelegt, ich stand auf ihr und spürte erneut das durch das Gestein laufende Zittern.
    Brach der Balkon?
    Über mein Gesicht flog ein missmutiges Grinsen. Das wollte ich doch nicht hoffen. Ich ging in die Hocke und schaltete meine kleine Lampe ein, die ich ständig bei mir trug. Ihr schmaler Lichtfinger glitt über den glatten Boden und verharrte an einer bestimmten Stelle.
    Dort war der Boden nicht mehr glatt! Ich sah einen Riss, und meine Befürchtungen wuchsen! Schnell musste ich den Balkon verlassen. Die Burg war mir nicht mehr geheuer. Aber was war für die Zerstörung des Balkons verantwortlich? Die Explosion des Feuerwerks vielleicht? Nein, das konnte nicht sein. Diese Schallwellen konnten doch keinen Balkon zum Einsturz bringen! So rätselhaft, wie der Fall begonnen hatte, so lief er auch weiter.
    Ich kam wieder hoch, während in der Ferne ein besonders großer Farbenstrauß am nachtdunklen Himmel aufblühte. Dafür hatte ich aber keinen Blick mehr. Während ich auf die Balkontür zugehen wollte, sah ich hinter den wallenden Gardinen in der offenen Tür jemanden stehen. Es sah aus wie ein Ritter aus vergangenen Zeiten.
    Rasch fasste ich in den Gardinenstoff hinein, riss ihn zur Seite und prallte zurück. Vor mir stand eine Gestalt mit einer Eisenmaske!
    Im ersten Moment dachte ich an ein Trugbild. Die Gestalt war aber echt, und sie trug tatsächlich eine Maske, die wie ein übergroßer Fingerhut aussah, bis zum Hals reichte und Löcher für Mund und Augen besaß. Über den Körper spannte sich ein Kettenhemd, die Beine steckten in einer Gamaschenhose, die Füße in Stiefeln. Komischer Geschmack, dachte ich. Mein Gegenüber sah aber darin aus, als ob er sich nicht aus dem Weg drängen lassen wollte.
    Er stand nur da. Ich rührte mich ebenfalls nicht, war aber gezwungen, etwas zu tun, denn hinter mir knirschte es verdächtig. Der kleine Balkon brach…
    Mir blieb nichts anderes übrig, als vorzuspringen, um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher