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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Jahr 1936 seinen Förderer Joseph Stalin auf dem Militärflugplatz Schtscholkowo.
    Eine weitere streng geheime Persönlichkeitsskizze, die die CIA für die neue Kennedy-Regierung erstellte, wies Chruschtschow die folgenden Eigenschaften zu: »Einfallsreichtum, Kühnheit, ein gutes Gespür für das richtige politische Timing und eine gewisse Spielermentalität.« 6 Der frisch gewählte Kennedy wurde gewarnt, dass hinter dem oftmals clownesken Verhalten dieses kleinen, gedrungenen Mannes eine »scharfe angeborene Intelligenz, ein lebhafter Geist, Tatkraft, Ehrgeiz und Rücksichtslosigkeit« steckten.

    Die CIA berichtete allerdings nicht, dass Chruschtschow sich höchstpersönlich die Wahl Kennedys zum Präsidenten zuschrieb und dafür nun etwas zurückbekommen wollte. Er brüstete sich vor Genossen, die Entscheidung in einer der knappsten Präsidentschaftswahlen herbeigeführt zu haben, die Amerika je erlebt hatte, indem er die Bitten der Republikaner abgelehnt habe, die drei gefangenen Flieger – den abgeschossenen U-2-Piloten Francis Gary Powers und die beiden Besatzungsmitglieder eines RB-47-Spionageflugzeugs, das zwei Monate später von den Sowjets über der Barentssee vom Himmel geholt worden war – auf dem Höhepunkt des Wahlkampfs freizulassen. Jetzt versuchte er ungeduldig, auf den unterschiedlichsten Kanälen ein möglichst frühes Gipfeltreffen mit Kennedy in die Wege zu leiten, auf dem das Berlin-Problem gelöst werden sollte.
    Während des Wahlkampfs waren den wichtigsten Mitarbeitern des Sowjetführers dessen Ansichten vollkommen klar. Er wünschte Kennedys Sieg und verabscheute Richard Nixon, der ihn als Eisenhowers antikommunistischer Vizepräsident in seiner eigenen Hauptstadt Moskau während ihrer sogenannten Küchendebatte über die Vor- und Nachteile ihrer beiden Systeme gedemütigt hatte. Und so teilte er jetzt seinen Genossen mit: »Auch wir können die amerikanische Präsidentschaftswahl beeinflussen. Wir werden Nixon doch nicht so ein Geschenk machen!« 7
    Nach der Wahl hatte Chruschtschow damit geprotzt, dass seine Weigerung, die Flieger freizulassen, Nixon die paar Hunderttausend Stimmen gekostet habe, die er für seinen Sieg benötigt hätte. Nur zehn Gehminuten von seinem Neujahrsbankett entfernt schmachteten die amerikanischen Gefangenen immer noch im KGB-Gefängnis in der Lubjanka, wo sie der Sowjetführer als politisches Pfand festhielt, das er irgendwann in der Zukunft einsetzen konnte, um von den Amerikanern einen Vorteil zu erpressen.
    Während die Zeit für seinen Neujahrstoast immer näher rückte, nahm Chruschtschow ein Bad in der Menge und ähnelte dabei eher einem volksnahen Politiker als einem kommunistischen Diktator. 8 Obwohl er immer noch kraftvoll und beinahe jugendlich wirkte, war er doch auch wie so viele andere Russen vorzeitig gealtert. 9 Bereits im Alter von siebenundzwanzig Jahren war er aufgrund einer schweren Krankheit ergraut. Wenn er mit den Genossen scherzte, warf er oft seinen fast kahlen Kopf zurück und schüttelte sich vor Lachen über seine eigenen Geschichten, wobei er unbeabsichtigt seine schlechten Zähne mit einer Lücke in der Mitte und zwei goldenen vorderen Backenzähnen entblößte. Kurz geschnittene graue Haare rahmten sein rundes, lebendiges
Gesicht ein, auf dem drei große Warzen und eine winzige Schnittnarbe unter der Nase zu erkennen waren. Seine roten Wangen hatten tiefe Lachfalten, und seine Augen waren dunkel und durchdringend. Er wedelte ständig mit den Händen und sprach mit einer lauten, hohen und nasalen Stimme in kurzen, stakkatoartigen Sätzen.
    Beim Umhergehen erkannte er viele Gesichter und erkundigte sich nach dem Befinden der Kinder zahlreicher Genossen, wobei er sich an deren Namen erinnerte: »Wie geht es der süßen kleinen Tatjana? Wie geht es dem kleinen Iwan?« 10
    In Anbetracht der Botschaft, die er für diesen Abend vorgesehen hatte, war Chruschtschow enttäuscht, dass in der Menge der wichtigste Amerikaner in Moskau, US-Botschafter Llewellyn »Tommy« Thompson, fehlte, mit dem er trotz der Verschlechterung des amerikanisch-sowjetischen Verhältnisses immer noch eine beinahe freundschaftliche Beziehung unterhielt. 11 Thompsons Ehefrau Jane entschuldigte sich bei Chruschtschow, ihr Mann sei zu Hause geblieben, weil ihn seine Magengeschwüre quälten. Allerdings erinnerte sich der Botschafter auch immer noch mit Schrecken an seine Begegnung mit dem sowjetischen Führer auf der letzten Neujahrsfeier, als ein angetrunkener

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