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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Autoren: Frederick Kempe
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Blockade überstehen ließ, 8 hatte die gegenwärtige Konfrontation eine Woche zuvor selbst ausgelöst, und dies wegen einer Sache, die den meisten seiner Vorgesetzten in Washington auf keinen Fall einen Krieg wert war. Die ostdeutschen Vopos zwangen nämlich seit neuestem alliierte Zivilisten dazu, ihren Ausweis vorzuzeigen, wenn sie den sowjetischen Sektor Berlins betreten wollten. Bisher hatten sich Fahrzeuge mit dem Nummernschild der Besatzungsmächte innerhalb aller vier Sektoren frei bewegen können. 9
    Da ihn seine persönliche Erfahrung gelehrt hatte, dass die Sowjets die Rechte der Westmächte in einer Art Salamitaktik immer weiter beschneiden würden, wenn man ihnen nicht sofort auch bei kleineren Provokationen die Stirn bot, entschloss sich Clay, diesem Ausweiszwang entschieden entgegenzutreten. 10 Er erließ den Befehl, dass diese Zivilfahrzeuge künftig von Militäreskorten nach Ostberlin hineinbegleitet werden sollten. Ein Jeep der US-Militärpolizei fuhr voraus, und mit Gewehren bewaffnete Soldaten marschierten links und rechts neben den Fahrzeugen einher, als diese im Zickzack durch die niedrigen, rot und weiß gestreiften Betonbarrieren des Sektorenübergangs hindurchkurvten. Im Rücken boten ihnen dabei die amerikanischen Panzer Deckung, die Clay hatte auffahren lassen.
    Zuerst schien Clays energisches Auftreten Erfolg zu haben, als die ostdeutschen Vopos einen Rückzieher machten und die Wagen unkontrolliert passieren ließen. Kurz darauf befahl Chruschtschow jedoch seinen Truppen, mit den Amerikanern gleichzuziehen und ebenfalls zehn Panzer hinter dem alliierten Sektorenübergang aufzustellen. Darüber hinaus sollten sie sich auf mögliche weitere Eskalationsschritte vorbereiten. In einem eigentümlichen, aber letztlich erfolglosen Versuch, die Verantwortlichkeiten zu vertuschen, befahl Chruschtschow, die nationalen Hoheitszeichen auf den Panzern mit Schlamm zu verschmieren, um vorzutäuschen, es handle sich um NVA-Panzer. Außerdem trugen deren Besatzungen nicht gekennzeichnete schwarze Uniformen.
    Als die sowjetischen Panzer an diesem Nachmittag zum Checkpoint Charlie rollten, um den von Clay veranlassten Aktionen ein Ende zu bereiten, wandelte sich ein kleiner Grenzzwischenfall zwischen Amerikanern und Ostdeutschen
zu einem Nervenkrieg zwischen den beiden mächtigsten Staaten der Welt. Der amerikanische und der sowjetische Kommandant in ihren Einsatzzentralen am entgegengesetzten Ende der Stadt erwogen ihre nächsten Schritte und warteten ungeduldig auf die Befehle von Präsident John F. Kennedy und Ministerpräsident Nikita Chruschtschow.
    Während die beiden Staatenlenker in Washington und Moskau die Situation überdachten, beobachteten die von Major Thomas Tyree befehligten amerikanischen Panzerbesatzungen nervös ihre Gegner auf der anderen Seite der berühmtesten Ost-West-Grenze der Welt. Tatsächlich war es ja auch erst zweieinhalb Monate her, dass ostdeutsche Soldaten und Polizisten unter sowjetischem Schutz am 13. August 1961 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion um ganz Westberlin herum in einer Länge von 168 Kilometern die ersten provisorischen Stacheldrahtsperren, Grenzbefestigungen und Wachposten errichtet hatten, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen, der die weitere Existenz der jungen DDR akut gefährdete.
    Seit damals hatten die Kommunisten diese Grenzlinie mit Betonplatten, Hohlblocksteinen, Panzersperren und Wachtürmen befestigt. Das Ganze wurde von Kampfhunden bewacht. Der damalige Berliner Korrespondent des amerikanischen Rundfunksenders Mutual Broadcasting Network beschrieb das, was die ganze Welt bald die »Berliner Mauer« nennen sollte, leicht ironisch als »die bemerkenswerteste und vermessenste stadtplanerische Maßnahme aller Zeiten […], die sich wie eine Albtraumkulisse durch die ganze Stadt schlängelte«. 11 Journalisten, Pressefotografen, politische Führer, Spionagechefs und Touristen strömten seitdem nach Berlin, wo der von Winston Churchill noch als Sinnbild verwendete Begriff »Eiserner Vorhang« 12 inzwischen physische Formen angenommen hatte.
    Allen Beteiligten war klar, dass dieser Panzer-Showdown am Checkpoint Charlie keine Übung war. 13 Tyree hatte dafür gesorgt, dass seine Männer an diesem Morgen die Munitionsgestelle ihrer Panzerkanonen mit scharfen Geschossen aufgefüllt hatten. In ihre Maschinengewehre hatten sie bereits Gurte eingelegt, sie jedoch noch nicht durchgeladen. Darüber hinaus hatten Tyrees Männer einige ihrer Panzer mit
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