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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Autoren: Frederick Kempe
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Interessen am besten durch eine friedliche Koexistenz und einen gewaltfreien Wettbewerb mit dem Westen befördern ließen. Gleichzeitig wuchs der Druck auf ihn, die Spannungen mit Washington zu erhöhen und alles Erforderliche zu unternehmen, um die Flüchtlingsflut zu stoppen, da andernfalls die DDR zusammenzubrechen drohte.
    Seit seiner Gründung am 7. Oktober 1949 waren bis 1961 2,8 Millionen Menschen, also jeder sechste Einwohner, aus dem ostdeutschen Staat geflohen. 17 Schloss man diejenigen mit ein, die zwischen 1945 und 1949 aus der SBZ geflüchtet waren, wuchs diese Zahl sogar auf 4 Millionen an. Dabei verlor das Land durch diesen Exodus vor allem viele seiner fähigsten und leistungsstärksten Bürger.
    Darüber hinaus arbeitete Anfang des Jahres 1961 die Zeit bereits gegen Chruschtschow. Ihm stand im Oktober ein entscheidender Parteitag der KPdSU bevor. Er musste befürchten, dass seine Gegner ihn absetzen würden, wenn er bis dahin die Berlin-Frage nicht im sowjetischen Sinn gelöst hatte. Als Chruschtschow während des Wiener Gipfels Kennedy mitteilte, Berlin sei der »gefährlichste Ort der Welt«, meinte er damit, dass dort am ehesten ein Atomkrieg zwischen den beiden Supermächten ausbrechen könnte. Außerdem wusste er, dass ihn seine Rivalen in Moskau politisch vernichten würden, wenn er die Sache in Berlin vermasselte.
    Das Verhältnis zwischen Kennedys und Chruschtschows wichtigsten deutschen »Nebendarstellern« war auf ähnliche Weise konfliktgeladen. Allerdings handelte es sich dabei um die asymmetrische Auseinandersetzung zwischen dem ostdeutschen Partei- und Staatschef Walter Ulbricht mit seinem dem Scheitern nahen Land von siebzehn Millionen Einwohnern und Bundeskanzler Konrad Adenauer mit seiner schnell wachsenden Wirtschaftsmacht mit ihren sechzig Millionen Bürgern.

    Für Ulbricht war dieses Jahr von noch weit größerer existenzieller Bedeutung als für Kennedy oder Chruschtschow. Die Deutsche Demokratische Republik, wie sich Ostdeutschland offiziell nannte, war das Lebenswerk des Siebenundsechzigjährigen, der ganz genau wusste, dass dieser Staat ohne radikale Maßnahmen direkt auf seinen wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch zusteuerte. Je größer diese Gefahr wurde, desto intensiver dachte er darüber nach, wie sie doch noch abgewendet werden könnte. Ulbrichts Einfluss und Bedeutung in Moskau nahmen in etwa demselben Maß zu wie die Instabilität seines Landes, da im Kreml die Angst wuchs, dass ein Scheitern Ostdeutschlands negative Auswirkungen auf das gesamte sowjetische Imperium haben könnte.
    Auf der anderen Seite der Grenze focht der erste und bis dahin einzige Kanzler der Bundesrepublik mit seinen fünfundachtzig Jahren in seiner dritten Amtszeit gleichzeitig einen Kampf gegen seine eigene Sterblichkeit und seinen innenpolitischen Gegner, den Westberliner Bürgermeister Willy Brandt, aus. Auf jeden Fall wollte er verhindern, dass Brandts Partei, die SPD, bei den anstehenden Bundestagswahlen in diesem September an die Macht gelangte und das Land nach links führte. Allerdings galt Adenauer Kennedy selbst als die größte Bedrohung für sein ganz persönliches Vermächtnis, nämlich ein freies und demokratisches Westdeutschland.
    Eigentlich schien sich Adenauer seinen Platz in der Geschichte in diesem Jahr 1961 durch den phönixhaften Aufstieg Westdeutschlands aus der Asche des Dritten Reichs bereits gesichert zu haben. Trotzdem hielt ihn Kennedy für verbraucht und für einen Mann der Vergangenheit, auf den sich seine Amtsvorgänger im Weißen Haus viel zu sehr gestützt hatten, statt sich um ein engeres Verhältnis zu Moskau zu bemühen. Im Gegenzug befürchtete Adenauer, dass es Kennedy an Charakter und Rückgrat mangele, um den Sowjets in diesem, wie er überzeugt war, entscheidenden Jahr Paroli bieten zu können.
    Die Geschichte von Berlin 1961 wird im Folgenden in drei Teilen wiedergegeben.
    Teil I, »Die Akteure«, stellt die vier Protagonisten vor: Chruschtschow, Kennedy, Ulbricht und Adenauer, die im ganzen Jahr 1961 vor allem durch die entscheidende Rolle, die Berlin in ihren Plänen und Ängsten spielte, miteinander verbunden waren. Die ersten Kapitel befassen sich mit ihren gegensätzlichen Motivationen und den Ereignissen, die dem nachfolgenden Drama den Weg bereiteten.
    An seinem ersten Morgen in Lincolns Schlafzimmer im Weißen Haus erfährt
Kennedy direkt nach dem Aufwachen, dass Chruschtschow die gefangenen Besatzungsmitglieder eines
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