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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Autoren: Frederick Kempe
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charakteristischen Offenheit, »um unsere Nerven hier machen wir uns keine Sorgen. Wir machen uns Sorgen über die von euch dort drüben in Washington.« 16
     
    Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seitdem die Berliner Mauer sechs Monate nach Kennedys Amtsantritt errichtet wurde. Trotzdem haben wir erst jetzt den nötigen Abstand zum damaligen Geschehen und den Zugang zu persönlichen Aufzeichnungen, Augenzeugenberichten und erst kürzlich freigegebenen Dokumenten aus den Vereinigten Staaten, Deutschland und Russland, um die Hintergründe der historischen Ereignisse des Jahres 1961 auf befriedigende Weise darstellen zu können. Nach Art der meisten epischen Dramen lässt sich diese Geschichte am besten in der Verbindung von Zeit (der Verlauf eines Kalenderjahres), Ort (Berlin und die Hauptstädte der Welt, die sein Schicksal bestimmten) und vor allem der beteiligten Personen erzählen.
    Tatsächlich waren nur wenige Beziehungen zwischen zwei führenden Persönlichkeiten ihrer Zeit psychologisch dermaßen angespannt und beruhten auf
Charakteren von solcher Unterschiedlichkeit und sich widersprechenden Antrieben wie die zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow.
    Kennedy betrat im Januar 1961 die Weltbühne, nachdem er den knappsten Wahlsieg seit 1916 errungen hatte. Sein Wahlkampfmotto hatte gelautet: »Lasst uns Amerika wieder in Bewegung bringen.« Vor ihm war der Republikaner Dwight D. Eisenhower zwei Amtszeiten lang Präsident gewesen, dem er vorgeworfen hatte, er habe es den sowjetischen Kommunisten erlaubt, wirtschaftlich und militärisch einen gefährlichen Vorsprung zu erlangen. Kennedy war mit seinen vierundvierzig Jahren der jüngste Präsident der amerikanischen Geschichte. Er war der privilegierte Sohn eines grenzenlos ehrgeizigen Multimillionärs, dessen Lieblingssohn Joseph jun. jedoch im Krieg gefallen war. Der neue Präsident sah gut aus, war charismatisch und ein brillanter Redner. Andererseits hatte er unter zahlreichen gesundheitlichen Problemen zu leiden, die von der Nebenniereninsuffizienz der Addison-Krankheit bis zu oft fast unerträglichen Rückenschmerzen reichten, die durch eine Kriegsverletzung noch verschlimmert worden waren. Obwohl er nach außen hin immer selbstsicher und zuversichtlich wirkte, war er sich in Wirklichkeit überhaupt nicht sicher, wie er mit den Sowjets umgehen sollte. Er war entschlossen, ein großer Präsident vom Kaliber eines Abraham Lincoln oder Franklin Delano Roosevelt zu werden. Dabei machte es ihm allerdings Sorgen, dass diese ihren überragenden geschichtlichen Rang in einem Krieg errungen hatten. Er wusste jedoch sehr gut, dass ein solcher in den 1960er Jahren eine nukleare Wüste hinterlassen würde.
    Selbst für einen erfahreneren Amtsinhaber als Kennedy birgt das erste Regierungsjahr eines amerikanischen Präsidenten viele Risiken, wenn die Lasten einer gefährlichen Welt von einer Administration zur nächsten übergehen. In seinen ersten fünf Präsidentschaftsmonaten sollte auch Kennedy mehrere selbst verschuldete Niederlagen erleiden, von seiner falschen Handhabung der Invasion in der kubanischen Schweinebucht bis zum Wiener Gipfel, wo Chruschtschow ihn, wie er selbst zugab, ausmanövrierte und übertölpelte. Aber nirgends stand für ihn mehr auf dem Spiel als in Berlin, dem Hauptschauplatz des Konkurrenzkampfes zwischen den USA und der Sowjetunion.
    Was sein Temperament und seine Herkunft anging, war Chruschtschow Kennedys genaues Gegenteil. Der siebenundsechzigjährige Enkel eines Leibeigenen und Sohn eines Bergmanns war impulsiv, Kennedy dagegen eher zögerlich. Während Kennedy umsichtig und bedächtig war, neigte Chruschtschow zu Aufschneiderei und Überschwang. Seine Stimmungen schwankten ständig
zwischen der tief sitzenden Unsicherheit eines Mannes, der erst nach seinem zwanzigsten Lebensjahr lesen und schreiben gelernt hatte, und dem kühnen Selbstbewusstsein von jemandem, der entgegen aller Wahrscheinlichkeit an die Macht gekommen war, während alle seine Rivalen gescheitert, wenn nicht gar einer Säuberung zum Opfer gefallen oder getötet worden waren. Obwohl Komplize der Verbrechen seines Förderers Stalin, distanzierte er sich nach dessen Tod von diesem und rechnete sogar mit ihm ab. Im Jahr 1961 war Chruschtschow ständig hin- und hergerissen zwischen seinem Wunsch nach Reformen und besseren Beziehungen zum Westen und seinem zutiefst autoritären und konfrontativen Wesen. Er war fest davon überzeugt, dass sich die sowjetischen
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