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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Autoren: Frederick Kempe
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Kennedys Motive vernunftgesteuert und friedensorientiert oder zynisch und kurzsichtig zu einer Zeit, als eine andere Handlungsweise vielleicht zehn Millionen von Osteuropäern eine weitere Generation sowjetischer Besatzung und Unterdrückung erspart hätte?
    War Chruschtschow ein echter Reformer, dessen Bemühungen, Kennedy unmittelbar nach dessen Wahl entgegenzukommen, ein ernst gemeinter Versuch waren, die Spannungen zu vermindern (was die Vereinigten Staaten jedoch nicht erkannten)? Oder war er ein launischer und sprunghafter Sowjetführer, mit dem die Vereinigten Staaten niemals eine wirkliche Verständigung
erreicht hätten? Hätte Chruschtschow auf den Bau der Berliner Mauer verzichtet, wenn er geglaubt hätte, Kennedy werde sich diesem entgegenstellen? Oder war die Gefahr eines vollkommenen Zusammenbruchs der DDR so groß, dass er notfalls sogar einen Krieg riskiert hätte, um den Flüchtlingsstrom zu beenden?
    Gestützt auf erst seit kurzem zugängliche Dokumente und Belege sowie auf neue Erkenntnisse und Einsichten, stellt dieses Buch den Versuch dar, eines der dramatischsten Jahre der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neu zu beleuchten und die dadurch gewonnenen Lehren auf die turbulenten ersten Jahre des 21. Jahrhunderts anzuwenden.

TEIL I
Die Akteure

KAPITEL 1
Chruschtschow: Ein Kommunist hat es eilig
    Dreißig unserer Atomwaffen sind für Frankreich bestimmt,
mehr als genug, um dieses Land zu zerstören. Für Westdeutschland und
Großbritannien haben wir jeweils fünfzig vorgesehen.
    MINISTERPRÄSIDENT CHRUSCHTSCHOW ZU
US-BOTSCHAFTER LLEWELLYN E. THOMPSON JUN.,
1. JANUAR 1960 1
     
    So gut das alte Jahr gewesen ist, das neue Jahr wird sogar noch besser werden …
Ich glaube, niemand wird mir die Aussage verübeln, dass wir großen Wert
auf die Verbesserung unseres Verhältnisses zu den USA legen. […] Wir hoffen,
dass der neue US-Präsident wie ein frischer Wind die abgestandene Luft
zwischen den USA und der UdSSR vertreiben wird.
    EIN JAHR SPÄTER: CHRUSCHTSCHOWS NEUJAHRSTRINKSPRUCH, 1. JANUAR 1961 2
    DER KREML, MOSKAU
SILVESTERNACHT, 31. DEZEMBER 1960
    Es waren nur noch wenige Minuten bis Mitternacht, und Nikita Chruschtschow hatte allen Grund, erleichtert zu sein, dass das Jahr 1960 endlich fast vorüber war. Er hatte jedoch noch mehr Grund, sich über das kommende Jahr Sorgen zu machen, als er den Blick über seine zweitausend Neujahrsgäste schweifen ließ, die sich unter der hoch aufragenden, gewölbten Decke des prunkvollen Sankt-Georg-Saals im Großen Kremlpalast versammelt hatten. Während draußen ein heftiger Sturm den Roten Platz und das Mausoleum, in dem seine einbalsamierten Vorgänger Lenin und Stalin aufgebahrt waren, mit einer dicken Schneeschicht bedeckte, wusste Chruschtschow sehr wohl, dass
das weltweite Ansehen der Sowjetunion, sein eigener Platz in der Geschichte und – noch weit wichtiger – sein politisches Überleben davon abhängen könnten, wie er die vielen Herausforderungen und Probleme meistern würde, die derzeit wie ein Unwetter auf ihn niederprasselten.
    Im Inland musste sich Chruschtschow zum zweiten Mal hintereinander mit einer Missernte auseinandersetzen. 3 Gerade erst zwei Jahre zuvor hatte er mit großem Aufwand ein Sofortprogramm in die Wege geleitet, dessen Ziel es war, bis 1970 hinsichtlich des Lebensstandards die Vereinigten Staaten zu überholen. Trotzdem konnte er im Augenblick nicht einmal die Grundbedürfnisse seines Volkes befriedigen. Auf einer längeren Inspektionsreise durch sein Land war er fast überall einem Mangel an Wohnraum, Butter, Fleisch, Milch und Eiern begegnet. Seine Berater warnten ihn vor der wachsenden Gefahr eines Arbeiteraufstands ähnlich dem, der im Jahr 1956 in Ungarn ausgebrochen war. Damals war er gezwungen gewesen, zu dessen Niederschlagung sowjetische Panzer einzusetzen.
    Im Ausland hatte Chruschtschows auf eine friedliche Koexistenz mit dem Westen abzielende Außenpolitik, die einen umstrittenen Bruch mit Stalins Vorstellungen einer unausweichlichen Konfrontation bedeutete, eine schwere Niederlage erlitten, als eine sowjetische Rakete im Mai des gerade zu Ende gehenden Jahres ein amerikanisches Lockheed-U-2-Spionageflugzeug abgeschossen hatte. Einige Tage später ließ Chruschtschow die Pariser Gipfelkonferenz mit Präsident Dwight D. Eisenhower und den anderen Siegermächten des Zweiten Weltkriegs platzen, weil die Vereinigten Staaten seine Forderung ablehnten, sich öffentlich für ihre Verletzung des sowjetischen
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