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Berichte aus dem Christstollen

Berichte aus dem Christstollen

Titel: Berichte aus dem Christstollen
Autoren: Jan Weiler
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Der vermeintliche Verlust dieses Kabels hatte auf der Rückfahrt aus dem Urlaub zu einer siebenstündigen Ganzkörperverspannung unseres Sohnes geführt, weil er keine Filme gucken konnte. Stattdessen spielten wir «Ich sehe was, was du nicht siehst» und bastelten frivole Sätze aus den Buchstabenfolgen vor uns fahrender Auto-Kennzeichen, bis Nick der Kragen platzte und er auf einer Raststätte bei fremden Leuten vorsprach, ob diese ihn eventuell mitnehmen könnten. Und ob sie zufällig einen DVD -Player im Auto hätten.
    Nun grub ich Eispapierchen, Getränkeflaschen mit fragwürdigem Inhalt, angebissene Kekse, diverse Legofiguren, Haargummis, ein Feuerzeug, fünf CD -Hüllen ohne CD s, vier CD s ohne CD -Hüllen, einen USB -Stick mit einem von mir bereits halbgeschriebenen Roman sowie ein Fußball-Sammelbildchen aus. Bastian Schweinsteiger. Es wunderte mich, ihn hier zu finden, denn genau auf diese Karte hatte Nick immer großen Wert gelegt. Schweinsteiger ist sein Lieblingsspieler. Er hat mich schon mehrfach darauf hingewiesen, dass er eigentlich lieber den Schweinsteiger als Vater hätte.
    «Warum?», habe ich dann immer gefragt.
    «Weil er cool ist. Und außerdem kann der mir alles kaufen, was ich will. Und ich darf umsonst ins Stadion, und er hat immer viel Zeit für mich, weil er nicht arbeiten muss.»
    Das Letzte stimmt ganz sicher nicht. Gerade an den Wochenenden hat der Mann furchtbar viel um die Ohren. Dann das Training und die vielen Reisen. Aber eine Adoption durch Herrn Schweinsteiger hat trotzdem reizvolle Aspekte. Immerhin kann man morgens vor der Schule mit Sarah Brandner kuscheln.

    Ich saugte den Wagen und legte die Matten wieder hinein. Anschließend wischte ich den Staub ab und die Eiscreme von der Innenseite der hinteren Fenster. Ich betrachtete mein Werk schließlich ohne Genugtuung, denn ich wusste um dessen Vergänglichkeit. Dann fuhr ich zum Bahnhof und holte meinen Schwiegervater ab. Ich legte sein Gepäck in den Kofferraum und öffnete ihm die Tür. Er stieg ein, atmete tief durch und sagte: «Eh, mitten in Winter so eine picobello saubere macchina. Weißtedu: Das iste wirklich mal wieder tipico deutsch.» Dann fing es an zu schneien. Ob Bastian Schweinsteiger eventuell auch einen Fünfundvierzigjährigen adoptiert?

Dr Zoch kütt
    Als ich noch in Düsseldorf lebte, hasste ich Karneval. Und der Karneval hasste mich. Wenn ich morgens meine Wohnung verließ, musste ich während der sogenannten tollen Tage über Erbrochenes und trunkene Narren steigen, und die wochenlange Beschallung mit Humptata-Musik machte mich depressiv. Um dies zu verhindern, versteckte ich mich immer während des Saison-Höhepunktes in meiner Wohnung oder floh nach Paris. Dann zog ich nach Bayern, und der Spuk war vorüber, weil der bayerische Fasching ungefähr so tumultös ist wie das Mitternachtsangeln am Müritzsee.
    Komischerweise sah ich mir aber nach einigen Jahren den Rosenmontagszug im Fernsehen an und bekam Heimweh, was ich sonst nie habe. Letztes Jahr guckte Nick mit. Er fragte, was die Leute da machten, und ich schilderte ihm den Düsseldorfer Umzug als lustiges Brauchtum, bei dem jeder Besucher zehn Kilo Süßigkeiten geschenkt bekommt. Nick wollte sofort hin. Deshalb fuhr ich mit ihm letztes Wochenende nach Düsseldorf. Am Montag zogen wir unsere Kostüme an und gingen zum Zoch. Nick war als Vampir unterwegs, ich als Chirurg. Ohne Kostüm wird man auf dem Rosenmontagszug gesteinigt.
    Mein Vampir und ich saßen dann in der Straßenbahn. An der ersten Station stieg eine Kuh ein, die sich uns gegenübersetzte, um dann umständlich eine Flasche «Kleiner Feigling» aus ihrem Euter zu kramen und diese zu leeren. Nick sah der Kuh beim Trinken zu und sagte: «Da ist ein Mann drin in der Kuh. Aber die Kuh hat Euter. Ich glaube, mit dem stimmt was nicht.»
    Zu der Kuh gesellte sich bald ein Astronaut, dessen Kostüm aus etwa dreißig Meter Alufolie bestand. Bis hierhin bot der Karneval zwar drastische Schauwerte, aber nicht den von mir in Aussicht gestellten Humor, wie Nick anmerkte. In der Altstadt stiegen wir aus, und am liebsten wäre ich gleich weitergefahren. Ich hatte die ganze Angelegenheit gar nicht so voll in Erinnerung. Das letzte Mal war ich ungefähr 1984 beim Zug und wurde so lange von einem japanischen Touristen angegraben, bis ich meine Bluse öffnete und zwei Tennisbälle aus meinem BH holte, worauf der Asiate panisch vor Scham das Weite suchte.

    Egal. Jedenfalls waren hier ganz bestimmt zu viele
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