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Berichte aus dem Christstollen

Berichte aus dem Christstollen

Titel: Berichte aus dem Christstollen
Autoren: Jan Weiler
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sofortigem Ausschluss vom Spiel, worauf ich das Schaf reflexhaft noch mal berührte, was aber leider folgenlos blieb.
    Jürgen blies in sein Wikingerhorn, und das Spiel begann. Die erste Partie dauerte allerdings nur wenige Minuten, in denen Jürgen ständig triumphierend neue Karten zog, die längste Straße baute und eine frühkapitalistische Handelsmacht aufzog. Wir hatten dem nur unseren Hunger entgegenzusetzen, aber wir erhielten keine Käsebrote. Jürgen umschlang den Holzteller mit dem Essen leidenschaftlich und erklärte: «Nur der Gewinner darf essen. Nur auf diese Weise nehmen alle das Spiel richtig ernst.» Dann futterte er Käsebrote und seine tönernen Kekse.
    Wir durften das Spielfeld neu einrichten und ihm mit Met zuprosten. Was machte ich eigentlich hier? Ich wollte nach Hause. Aber Jürgens Frau Lorella ist Saras große Schwester. Das ist Familie. Ihre Familie. Da muss man sich einmal pro Jahr zusammenreißen. Hinterher darf man toben, aber nicht währenddessen.
    Im zweiten Spiel errang ich sechs Siegpunkte, bevor Jürgen in sein Horn tutete, um kundzutun, dass er bereits wieder fertig war. Ich verstand nun immerhin, wie der Hase lief, und legte mir eine Strategie für die dritte Runde zurecht. Da fiel meine Frau mit dem Gesicht nach vorne ins Spielfeld und knickte ein paar Bäume um. Als ich ihren Kopf vom Tisch nahm, klebten ein Erz und ein Lehm an ihrer Wange.
    «Mein schönes Spiel!», jammerte Jürgen.
    «Meine schöne Frau!», jammerte ich. Lorella und ich trugen Sara auf die Couch und fächelten ihr Luft zu, während Jürgen sein Spiel nach meldefähigen Versicherungsschäden absuchte.
    «Was ist?», fragte ich besorgt.
    «Met. Zu viel Met», lallte meine Gattin. Leichenblass. Besoffen wie ein Polier beim Richtfest.
    Wir verabschiedeten uns. Auf dem Weg zum Auto stützte ich mein bezechtes Weib, so gut es ging. Sara machte eine bemerkenswerte Wandlung durch, je näher wir dem Wagen kamen. Als ich aufschloss, ging es ihr schon viel besser.
    «Soll ich fahren?», fragte sie, «ich bin stocknüchtern.» Sie berührte ihre Nase mit dem linken Zeigefinger.
    «Und dieses Met-Zeugs?»
    «Alles in der Hydrokultur. Als ich kapiert habe, dass du mich nach diesem Abend vermutlich verlassen würdest, musste ich doch etwas unternehmen», erklärte sie und griff nach dem Schlüssel.
    Eine tolle Frau, finde ich. Heute bin ich übrigens zufällig bei Jürgen und Lorella vorbeigefahren. Vor dem Haus stand so eine Hydrokultur. Sah ziemlich armselig aus. Eingegangen. Wahrscheinlich Alkoholvergiftung.

Auto-Ausgrabungen
    Für Archäologen sind Pyramiden und andere Königsgräber wundervolle Aufgaben. Sie versprechen dem fachkundigen Abenteurer Nervenkitzel und die Aussicht auf enormen Reichtum sowie Anerkennung und mindestens einen kurzen Beitrag in der Tagesschau vor dem Wetter. Mindestens ebenso reizvoll, aber viel kostengünstiger und auch mit einem kleinen Expeditionsteam durchführbar, gestaltet sich die Erforschung unseres Autos. Dies wurde mir bewusst, als ich es jetzt sauber machen musste. Sara bestand darauf.
    Ihr Vater – mein Schwiegervater Antonio – schickte sich an, uns zu besuchen. Ich sollte ihn vom Bahnhof abholen. Sara fand den Wagen dafür zu dreckig. Ich erwiderte schwach, dass es sich bei Antonio Marcipane ja nun nicht um einen Staatsgast handele, sondern um den von den Kindern frenetisch bejubelten Opa. Außerdem mache es keinen Spaß, ein Auto im Februar zu reinigen. Ein blöder Graupelschauer reicht, und alles ist hin. Auch innen.
    Darauf legte meine Gattin mir ausführlich dar, dass diese Sichtweise wieder einmal typisch deutsch sei. In Italien gehöre sich so etwas nicht. Dort würden sich der Respekt und die Liebe zum Familienoberhaupt eben auch darin zeigen, dass man ihn nicht in einer völlig verdreckten Karre abhole. In Deutschland, jaaahaha, da spare man an der Opaliebe und am Kleingeld für den Staubsauger. In Italien hingegen wisse man die Alten noch zu schätzen und pflege Heim und Kfz penibel, um der Freude über den Besuch der Senioren Ausdruck zu verleihen.
    Ich argumentierte noch ungefähr zwanzig Minuten. Dann fuhr ich in die Autowaschanlage und anschließend nebenan zum Staubsauger. Ich nahm sämtliche Matten aus dem Wagen und begab mich an die Erforschung des Innenraumes. Dabei machte ich spektakuläre Entdeckungen. Zwischen den Rücksitzen fand ich ein Kabel, das ich seit August vermisst hatte. Man schließt damit einen DVD -Player an der Rückseite der Vordersitze an.
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