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Berg der Legenden

Berg der Legenden

Titel: Berg der Legenden
Autoren: Jeffrey Archer
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ersten Tritt in etwa 50, vielleicht sogar 60 Zentimeter Höhe, doch nicht heute, wo ein paar Zentimeter schon einen Berg für sich bildeten. Mit bebender Hand packte er einen Vorsprung nur wenige Zentimeter über seinem Kopf und zog sich langsam hoch. Er hob einen Fuß und suchte nach einem Tritt, damit er den anderen Arm heben und auf dem senkrechten Weg zur Spitze des Felsens ein paar Zentimeter vorankam. Er versuchte, nicht an den Rückweg zu denken. Sein Verstand schrie kehr um , doch sein Herz flüsterte geh weiter .
    Vierzig Minuten später hievte er sich auf die Oberkante des Felsens und zog das Seil straff, um seinem Partner den Aufstieg ein wenig zu erleichtern. Sobald Irvine zu ihm hochgeklettert war, überprüfte George den Höhenmesser: noch 34 Meter zu klettern. Er sah nach oben, und dieses Mal erblickte er ein weißes Eisfeld, das sich über die Jahre zu einem über der Ostwand schwebenden Überhang aufgetürmt hatte und selbst für ein vierbeiniges Tier mit Eisenhaken an den Pfoten jedes Vorankommen unmöglich machte.
    George suchte gerade nach einem festen Stand, als ein Lichtblitz den Berg unter ihnen traf, kurz darauf gefolgt von Donnerkrachen. Er nahm an, dass sie vom Sturm verschlungen werden würden, doch als er nach unten blickte, begriff er, dass sie viel zu hoch über dem Gewitter waren, das seine Wut an ihren Kollegen mehr als 1000 Meter unter ihnen auslassen musste. Es war das erste Mal, dass George einen Sturm von oben sah, und er konnte nur hoffen, dass das Unwetter weitergezogen war, wenn sie sich wieder an den Abstieg machten, und nur die ruhige, klare Luft übrig gelassen hatte, die häufig auf solch ein Grollen folgte.
    Erneut hob George einen Fuß und versuchte, auf dem Eis Halt zu finden. Sofort barst die Oberfläche, und sein Absatz rutschte hangabwärts. Er lachte beinahe. Konnte es noch schlimmer werden? Er schlug seinen Pickel ins Eis vor sich. Dieses Mal brach es nicht ganz so leicht, aber als es schließlich nachgab, setzte er einen Fuß in das Loch. Er rutschte immer noch ein paar Zentimeter zurück. Er lachte nicht, als ihm die Redensart zwei Schritte vor, einer zurück einfiel. Er würde sich damit begnügen müssen, dreißig Zentimeter voran- und fünfzehn zurückzukommen. Nach einem Dutzend solcher Schritte wurde der schmale Grat sogar noch dünner, bis George sich auf alle viere fallen lassen musste und zu kriechen begann. Er blickte weder nach links noch nach rechts, denn er wusste, dass es zu beiden Seiten mehrere Hundert Meter steil hinunterging. Nach vorne schauen, alles ignorieren, was um einen herum ist, und weiterkämpfen. Noch ein Meter voran, einen halben zurück. Wie viel konnte der menschliche Körper ertragen? Und dann spürte er plötzlich festen Felsen unter sich. Er konnte aus dem Eisbett klettern und stand auf rauem, steinigem Boden, vielleicht zwanzig Meter vom Gipfel entfernt. Er drehte sich um und sah einen erschöpften Irvine, der immer noch auf den Händen und Knien kauerte.
    »Nur noch zwanzig Meter«, rief er, als er das Seil löste, damit die beiden Männer in ihrem eigenen Tempo weitergehen konnten.
    Es vergingen noch einmal zwanzig Minuten, ehe George Leigh Mallory eine Hand, seine rechte Hand, auf den Gipfel des Mount Everest legte. Langsam zog er sich hoch und blieb flach auf dem Bauch liegen. »Kaum ein Moment des Triumphs«, war sein erster Gedanke. Er stemmte sich auf die Knie, und dann, mit äußerster Anstrengung, schaffte er es irgendwie aufzustehen. Der erste Mensch, der auf dem höchsten Punkt der Welt stand.
    Er überblickte den Himalaja und bewunderte eine Aussicht, die kein Mensch je zuvor gesehen hatte. Er wollte vor Freude auf und ab hüpfen und aus vollem Hals Triumphrufe ausstoßen, doch er hatte weder die Kraft noch den Atem dafür. Stattdessen drehte er sich langsam im Kreis. Der beißende Wind, der aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien, ließ es nicht zu, dass er sich schneller bewegte. Unzählige uneroberte Berge erhoben sich stolz um ihn herum, die Köpfe gesenkt in der Gegenwart ihrer Monarchin.
    Ein komischer Gedanke kam ihm. Er musste daran denken, Clare zu erzählen, dass der Gipfel des Everest genauso groß war wie ihr Esszimmertisch.
    George sah auf die Uhr. Vierundzwanzig Minuten vor vier. Er versuchte sich einzureden, dass sie immer noch genügend Zeit hatten, um in die Sicherheit ihres kleinen Zeltes in Lager VI zurückzukehren, besonders wenn es eine klare, windstille Nacht werden würde.
    Er
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