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Berg der Legenden

Berg der Legenden

Titel: Berg der Legenden
Autoren: Jeffrey Archer
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blickte wieder nach unten und sah Irvine näherkommen, auch wenn er nur im Schneckentempo vorankam. Würde er beim letzten Schritt ins Straucheln geraten? Dann, gleich einem Kind, das noch nicht laufen konnte, kroch Irvine auf den Gipfel.
    Nachdem George ihm auf die Beine geholfen hatte, wühlte er in der Tasche seines Shackleton-Mantels herum und hoffte nur, dass er das, wonach er suchte, nicht vergessen hatte. Seine Finger waren vor Kälte so taub, dass er beinahe seine Westentaschenkamera fallen gelassen hätte. Sobald er sicher stand, machte er ein Bild von Irvine, der die Arme in die Höhe reckte, als hätte er soeben ein Ruderrennen gewonnen. George gab die Kodakkamera seinem Partner, der seinerseits ein Foto von ihm machte, wobei George versuchte auszusehen, als hätte er gerade eine erfrischende Wanderung in den walisischen Hügeln hinter sich.
    George schaute erneut auf die Uhr und runzelte die Stirn. Er deutete mit Nachdruck den Berg hinunter. Irvine schob die Kamera mit dem Beweis ihres Erfolgs in eine Hosentasche und knöpfte sie zu.
    George wollte gerade den ersten Schritt nach unten machen, als ihm das Versprechen einfiel, das er Ruth gegeben hatte. Mit steifen, eisbedeckten Fingern holte er ungeschickt seine Brieftasche hervor und zog das Sepiabild heraus, das er bei jeder seiner Reisen stets bei sich getragen hatte. Ein letztes Mal sah er seine Frau an und lächelte, ehe er ihr Bild auf den höchsten Punkt der Erde legte. Er schob die Hand in die Tasche und begann herumzuwühlen.
    »Mit den besten Empfehlungen Seiner Majestät, des Königs von England, Madame«, sagte er mit einer Verbeugung, »der hofft, dass Sie seinen bescheidenen Untertanen eine sichere Rückreise in ihre Heimat gewähren mögen.«
    George lächelte. George fluchte.
    Er hatte Geoffrey Youngs Sovereign vergessen.

61
    Sonntag, 8. Juni 1924, 17:49 Uhr
    Als Odell im Lager IV eintraf, konnte er seine Aufregung nicht verbergen. Er kroch zu Norton ins Zelt und erzählte ihm, was er gesehen hatte.
    »Etwa 180 Meter vom Gipfel entfernt, sagen Sie?«, fragte Norton, der immer noch flach auf dem Rücken lag.
    »Ja«, erwiderte Odell. »Ich bin mir ganz sicher. Sie standen auf der Zweiten Stufe, als ich einen von ihnen auf den anderen zugehen sah, ehe sie munter zum Gipfel weiterstiegen.«
    »Dann dürfte sie jetzt nichts mehr aufhalten«, erklärte Bullock, während er ein frisches warmes Tuch über Nortons Augen legte.
    »Hoffentlich haben Sie recht«, sagte Somervell. »Aber ich denke trotzdem, es wäre klug, wenn Odell in allen Einzelheiten aufschreibt, was er gesehen hat, solange er es noch frisch im Gedächtnis hat. Es könnte sich als wichtig erweisen, wenn eines Tages die Geschichte der Expedition geschrieben wird.«
    Odell kroch zu seinem Rucksack und holte sein Tagebuch heraus. Er setzte sich in eine Ecke des Zelts, und in den nächsten zwanzig Minuten schrieb er alles auf, was er an diesem Morgen beobachtet hatte. Wo genau er die zwei Gestalten gesehen hatte, wann sie den Aufstieg fortgesetzt hatten, sowie die Tatsache, dass sie nicht in Schwierigkeiten zu stecken schienen, als sie im Nebel verschwanden. Als er fertig war, schaute er auf die Uhr: zwei Minuten vor sieben. Waren Mallory und Irvine wieder sicher zurück in ihrem Zelt im Lager VI, nachdem sie auf dem höchsten Punkt der Welt gestanden hatten?
    ***
    Sobald sie sich angeseilt hatten, um vom Gipfel des Mount Everest zu steigen, galt Georges erster Gedanke der Frage, wie lange der Sauerstoff noch reichen würde. Irvine hatte herumgewitzelt, dass sie nicht länger als acht Stunden brauchen würden, aber sicherlich näherte sich diese Frist bereits dem Ende. Sein zweiter Gedanke war, wie viele Stunden Sonnenlicht ihnen noch blieben, denn das war etwas, das sie nicht durch Herumspielen an den Ventilen beeinflussen konnten. Und schließlich hoffte er, es würde eine klare Nacht werden, damit der Mond sie auf den letzten Schritten ihrer Heimreise begleiten würde.
    Überrascht stellte er fest, dass, sobald sie den Sieg errungen hatten, der Adrenalinrausch rasch verebbte. Alles, was ihm blieb, war der Wille zu überleben.
    Nachdem er nicht mehr als fünfzehn Meter zurückgelegt hatte, wollte George sich hinsetzen und ausruhen, doch sein Körper war so übermüdet und schmerzerfüllt, dass er wusste, wenn er die Augen nur einen Moment lang schlösse, er sie möglicherweise nie wieder öffnen würde.
    Er stieß seinen Eispickel in die rissige Oberfläche, machte einen
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