Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Belles Lettres

Belles Lettres

Titel: Belles Lettres
Autoren: Charles Simmons
Vom Netzwerk:
handelt es sich um alles in einem? So, wie ich meinen Shakespeare kenne, bin ich geneigt zu sagen: alles in einem.»
    Gary Cartouches computergestütztes Gutachten war zwar nicht so interessant, aber genauso merkwürdig. Er legte dar, daß Shakespeares Werk bis zur Entdeckung dieser Gedichte aus 884647 Worten bestand; sein Wortschatz belief sich auf 29066 Wörter. Infolgedessen erscheint jedes Wort rein arithmetisch 30,435801 mal. Das betrifft natürlich nicht den vorliegenden Fall. Das Wort «der» erscheint 24457 mal, während andere Worte nur einmal erscheinen. «Shakespeares Gesamtwerk», schrieb Cartouche, «enthält einen ungewöhnlich hohen Anteil solcher ‹ Einzel › -Worte. Entsprechend muß jedes Werk, das die Autorschaft Shakespeares glaubhaft für sich beanspruchen will, eine vergleichbare Anzahl aufweisen. Die neun Sonette erfüllen dieses wichtige Kriterium auf hervorragende Weise», und dann listete er die Worte auf, die sonst bei Shakespeare nicht vorkommen.
    Sein stärkster Beweis stützte sich allerdings auf die Reime. «Ein Reim im Gedicht ist wie ein Akkord in der Musik. Wir identifizieren einen Komponisten zuerst dadurch, daß wir seine Akkorde hören. Die neuen Sonette bestehen aus 126 Zeilen, mithin also aus 63 Reimpaaren. Eines dieser Paare erscheint dreimal in genialer Variation (mir/wir,    hier/mir,    dir/mir),    ein    anderes    (her/mehr) zweimal; mithin gibt es in den neun Sonetten 60 unterschiedliche Reime. In den 154 Sonetten erscheinen diese 68 mal, eine erstaunliche Parallelität, die Shakespeares Autorschaft mehr als alles andere belegt.»
    Irgend etwas stimmte nicht mit der Logik, aber ich kam nicht dahinter, was es war.
     
    Mr. Margin war ziemlich aufgeregt, als ich eintraf. Sein Bademantel stand offen, und er war barfuß. Er kam gleich zur Sache: «Das Gedicht, das Sewnbound so gefällt, ‹ Nun rühr dich schon, sieh an des Tages Glanz › , bedeutet rein gar nichts und stimmt auch grammatisch hinten und vorne nicht.»
    «Ich fand, daß es eigentlich ganz gut klingt.»
    «Frank! Lyrik ist mehr als Klang. Im Moment schlage ich gerade einzelne Worte im Wörterbuch nach. Wenn ich nur ein einziges aufstöbern kann, das nachweislich erst nach Shakespeares Zeit in Gebrauch kam, wissen wir, daß es eine Fälschung ist. ‹ Augustplatt › taucht auf, das es weder damals noch heute gab, aber Shakespeare erfindet manchmal neue Worte.»
    «Und Freudenlaich.»
    «Das fand ich eigentlich recht schlau», sagte Mr. Margin.
    «Und können Sie etwas mit ‹ der Ramme Boden › anfangen?»
    «Ich hab's gerade gefunden.» Auf einem Kaffeetisch lag ein aufgeschlagenes etymologisches Wörterbuch. Mr. Margin las daraus vor: «Stammt aus dem untergegangenen westgermanischen Wort für ‹ Widder, Schafbock › , woraus sich später ‹ Fallhammer › und ‹ Rammbug › bei Schiffen entwickelt hat. Abgeleitet davon ‹ rammen › , das heißt, ‹ mit der Ramme eintreiben › . Und das eindeutig auch obszön konnotierte ‹ rammeln › stammt ebenfalls von ‹ Widder › und bedeutet eigentlich ‹ bocken › .»
    «Wenn Ramme das bedeutet, was bedeutet dann aber ‹ Daß du der Ramme Boden uns verlängern willst › ?»
    Mr. Margin sprach die Zeile mehrfach variierend wie ein Schauspieler aus: « ‹ Daß du der Ramme Boden uns verlänger › . ‹ Daß du der Ramme Boden uns verlänger › .» Dann sagte er: «Rimbaud und Verlaine!»
    «Was?»
    «Rimbaud und Verlaine. Ramme Boden und verlängern. Moment mal, Moment!» Er griff zu seinem Exemplar von Belles Lettres und las nach kurzem Suchen vor: « ‹ Und nölt ein Kuhhirt dich auch an. › Noel Coward!» Er machte sich wieder über die Belles Lettres her und rief gleich darauf: « ‹ Im Wald der Mann sei gut bewacht › !»
    «Walt Whitman!» schrie ich. «Press ist tot.»
    «Lang lebe Press!»
    «Press ist tot. Lang lebe Press!» sangen wir unisono und tanzten bald in Mr. Margins Wohnzimmer herum. Als seine kolumbianische Haushälterin hereinschaute, tanzten wir auch mit ihr.
    Wir brauchten eine halbe Stunde, um in acht der neun Sonetten die darin verschlüsselten Homosexuellen aufzustöbern. Der neunte - ich habe inzwischen vergessen, welcher es war - entging uns; erst als die Wortspiele zu einem öffentlichen Ratespiel avancierten, kamen wir dahinter.
    Eine Stunde lang berieten wir unsere Strategie. Dann rief ich Selma an und erkundigte mich, was in der Redaktion los war. Im Augenblick wurde Press gerade für die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher