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Belles Lettres

Belles Lettres

Titel: Belles Lettres
Autoren: Charles Simmons
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Augen für des Augs Gelüst.
    Zum Dutzend zähl ich Schönheiten dir nicht, du bist, was Freude macht, und mehr, mein Licht.
     
    Als sie fertig waren, begannen einige der schnellen Leser gleich noch einmal von vorn. Andere blätterten stirnrunzelnd vor und zurück. «Riesenscheiße!» schrie Barry Vellum. «Fabelhaft!» schrie Virginia Wrappers. «Ruhe da hinten!» schrie jemand anderes, und dann wurde weitergelesen. Nach zehn Minuten begann man, sich zu unterhalten. Drei oder vier versammelten sich vor meinem Schreibtisch. Mein Telefon klingelte. Es war Mr. Margin. Ein Bote hatte ihm ein Exemplar in die Wohnung gebracht.
    «Haben Sie's gelesen?» fragte er. «Ja. Was halten Sie davon?»
    «Ich weiß nicht recht, Frank. Die Abbildungen der Schrifttype sehen überzeugend aus. Aber irgend etwas stimmt damit nicht.»
    «Sie meinen, daß es nicht wie Shakespeare klingt?»
    «Doch, irgendwie schon. Es klingt aber auch nach dem, was ein paar clevere Leute auf einer Party ausgeheckt haben könnten. ‹ Ruh nicht, renk ein, ruf aus, red mit, reich her. › Hätte Shakespeare so etwas geschrieben?»
    «Er hat auch ‹ Niemals, niemals, niemals, niemals, niemals! › geschrieben. Sind Sie zu Hause? Kann ich vorbeikommen?»
     
    Im Taxi las ich mir alles noch einmal durch, auch die Gutachten der beiden Experten.
    Wie die Einführung bereits verkündete, hegte S. Sewnbound keinen Zweifel an der Autorschaft: «Wer, wenn nicht ein höchst selbstbewußter Künstler, hätte sich an ein Wortspiel gewagt wie: ‹ Ruh nicht, renk ein, ruf aus, red mit, reich her › ? Zu Staunen und Bewunderung des Lesers erscheint in Shakespeares berühmtem Sonett 135 das Wort ‹ will › (der Anfangsbuchstabe alternierend in Groß- und Kleinschrift) dreizehnmal. In ‹ Ruh nicht, renk ein... › gibt es kaum weniger jambische Worte, die auf ‹ r › anlauten! Und wer außer dem Schöpfer selbst hätte in seinem Sonett über die fünf Sinne, ‹ Daß deine Stimme freut, ist's nicht allein › , den Tastsinn als den Sinn bezeichnen können, den ‹ Pflanzen kennen, kugelgleich und hohl › - Pflanzen mit ihrer Konnotation zur Pubes, Kugeln mit ihrer unmittelbaren Assoziation von Testikeln?
    Und erst der Geniestreich: ‹ kugelgleich und hohl › - hohl mit seiner ursprünglichen, außergermanischen Substantivbedeutung von ‹ Stiel, Hohlstengel › , Kugel mit seiner mittelhochdeutschen ( ‹ Kulle › ) wie altenglischen ( ‹ cudgel › ), heute bereits wieder obsoleten Bedeutung von ‹ Stock mit kugelförmig verdicktem Ende › . Und über beiden schwebt eine herzhafte Männlichkeit und das Gefühl kollidierender Körper.»
    «Der Grund», fuhr er in einem anderen Absatz fort, «daß Shakespeares Sonette Kommentatoren stets derart herausgefordert haben, besteht darin, daß man ein Geheimnis wittert. Aller Offenheit des Gefühls zum Trotz, scheint etwas zu fehlen. Das, was fehlte, wir wissen es nun mit letzter Klarheit, liegt in diesen neu entdeckten Sonetten offen zutage. Endlich kennen wir den Grund für des Dichters manifeste Zartheit, seine Exaltiertheit und seine Qual.
    Die Vorstellungskraft männlicher Liebe ist durchaus überwältigend. Man ist geradezu versucht zu sagen: Sie läßt uns erstarren. Und doch ist und bleibt sie bis ins Äußerste reinster Shakespeare und auch Elisabethanische Epoche. Wenn Shakespeare nie gelebt, wir aber diese unsignierten Gedichte aufgefunden hätten, könnten wir sie ohne den mindesten Zweifel aufs späte sechzehnte oder frühe siebzehnte Jahrhundert datieren, da ja gerade das Exzessive die Essenz der elisabethanischen Geisteshaltung war.»
    Das Exzessive, dachte ich, war auch die Essenz der Geisteshaltung Sewnbounds.
    Das mit «Nun rühr dich schon...» beginnende Gedicht sei «mit Abstand das beeindruckendste der neun, wenn nicht gar das beeindruckendste aller Shakespeare-Sonette überhaupt - mit seinen strahlenden Symbolen, seinem rollenden Rhythmus, seinen verblüffenden Vergleichen und seiner surrealen Vermischung des Abstrakten mit dem Konkreten. ‹ Falsche Lügen › wird somit zu einer der nachdenkenswertesten Wortprägungen im Shakespearschen Kanon. Was ist eine falsche Lüge? Handelt es sich um die gleisnerische Absicht, die auf zweifache Weise Enthüllung verrät? Handelt es sich um die Lüge, die zweifach lügt, weil sie die Liebe betrügt? Handelt es sich, so denn ihr Paradoxon gelöst wäre, um die schlichte Wahrheit, wie ja auch die intrikateste Gleichung, auf A reduziert, gleich A ist? Oder
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