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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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Möglichkeiten von Literatur, letztendlich auch auf die Rolle der Kunst, ist nicht allein ihrem Unbehagen, verstärkt von den gerade durchlebten Jahren der Erniedrigung und des Verrats von München, geschuldet. Die Krise des abendländischen Denkens, die einherging mit der Herausbildung der Moderne, wirkte nach und weiter. Die Rolle des Intellektuellen und Künstlers erschien mehr denn je als brüchig und fragwürdig. So sind Versuche verständlich, aus dieser Sackgasse herauszufinden.
    In der tschechischen Prosa aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es einige Bemühungen, innerhalb einer kleinen Nationalliteratur nach neuen Wegen zu suchen.
    Bel canto ist dabei ein Solitär, eine Erkenntnis, die sich erst langsam durchsetzt. Für zeitgenössische Leser war damals das Infragestellen von Literatur, das Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der von ihr produzierten Texte, etwa durch die Zertrümmerung der Romanform, oder das Zweifeln an der Autorität des Dichters oder Schriftstellers etwas Ungewöhnliches. Die Massenliteratur blieb davon unberührt und in der artifizielleren, anspruchsvollen Literatur hatten sich solche Versuche noch nicht gefestigt.Texte von Vladislav Vančura, Richard Weiner, teilweise auch der Brüder Čapek, von Vítězslav Nezval, die ähnliche Formen erprobten, aber bei Weitem nicht so virtuos wie Milada Součková damit umgingen, bestimmten nicht den Literaturbetrieb.
    Nezval erwies sich vor allem im Hinblick auf die Erprobung surrealistischer Praktiken in der Prosa als offen und experimentierfreudig, nutzte aber auch moderne Erzählformen, die der Bewusstseinsstrom ermöglichte (in seinem Roman Dolce far niente , 1931, erzählt er seine Kindheit, komprimiert auf einen Tag, in Jak vejce vejci [ Wie ein Ei dem anderen ], 1931, macht er sich Gides Verfahren, einen Roman im Roman zu schreiben, und Schklowskis »Theorie der Prosa« zunutze), oder stellte die gängigen Formen der Unterhaltungsliteratur in Frage, indem er sie persiflierte (in Valerie a týden divů [ Valerie und die Woche der Wunder ], eine Mischung aus Dienstmädchen- und Abenteuerroman).
    Karel Čapek schildert in Povětroň [ Der Meteor ], 1934, die Geschichte eines abgestürzten Flugzeugpassagiers. Über dem Namenlosen, Ortlosen, Gesichtslosen (er liegt wie eine Mumie bandagiert in der Klinik), dem Ausgelöschten, dem Fall X rätseln eine barmherzige Schwester, ein Hellseher und ein Dichter. Jeder mit einer eigenen Version, der Dichter schreibt die seine auf (ein Roman im Roman) und rechtfertigt die Form des Romans: »Eine Erzählung muss auseinanderfallen, damit man erkennt, woraus sie zusammengesetzt ist.«
    In seinem letzten und unvollendet gebliebenem Roman Život a dílo skladatele Foltýna [ Leben und Werk des Komponisten Foltýn ], 1939, einem Künstlerroman, variiert Čapek dieses Verfahren. Es wird von mehreren Personen auftraditionelle Weise von einem Ehrgeizling und Dilettanten erzählt, der aus Ruhm- und Anerkennungssucht eine Oper schreiben will und kläglich scheitert. Der Roman hat mit Bel canto jedoch lediglich das Sujet gemeinsam, nie die Form.
    Schon sehr früh heißt es über jede Form von Kommunikation, sei es zwischen Autor und Leser oder zwischen Erzähler und Figur, in Richard Weiners Text Netečný divák [ Der unberührte Zuschauer ], 1917: »Es gibt nicht viele Menschen, die zuzuhören verstehen. Das setzt voraus, dass wir unser Leben an der Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit ansiedeln und auch an der äußerst scharfen und gefährlichen Grenze zwischen frivoler und inbrünstiger Lebensauffassung.« Das ist die Erfahrung der Hauptfigur Josef Černý, der einem in Paris getroffenen Landsmann aus der Welt berichtet, von der auch in Bel canto erzählt wird.
    Alle diese Romane oder Erzählungen brechen aus dem Kanon der gängigen Form aus, wechseln in der Erzählperspektive oder Reflektieren über das Handwerk des Schreibens und geben dem Leser den vorsichtigen Hinweis, dass die Geschichte, die er gerade liest, Fiktion und nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln ist.
    Bei Bel canto lässt die Autorin keinen Zweifel an der Fiktionalität der Geschichte aufkommen. Sie benutzt das Klischee vom »Künstlerroman« – als »Liebesroman« auch in der Massenliteratur verbreitet – und treibt seine Form bis hart an die Grenzen, in denen der moderne Roman als Roman noch erkennbar ist.
    Milada Součková spielt virtuos mit dem Instrumentarium ihrer Mittel: Sie fügt in den erzählten Text sich
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