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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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bescheidenen Verhältnissen, so dass er froh war, als ihn Giulia zum Abendessen einlud. Heute hat er Giulia aus alter Freundschaft besucht. Heute lebt er in luxuriösen Hotels, schickt Giulia prächtige Blumen und fragt, ob sie ihn nicht mit jemandem bekanntmachen könne, der in der Kriegsindustrie arbeite.
    Giulias Leben, das wäre ein Roman!
    Sie hat einen strahlenden Blick auf mich gerichtet. Ob ich sie vor Rittmeister X. warne, oder ob sie sagt, sie habe schon die »Idee« für einen Roman – immer der gleiche strahlende Blick. Am Anfang der Taufschein und am Ende der Totenschein der Heldin.
    Ich weiß, Giulia wird ihr Leben nie aufschreiben. Könnte das ein Roman sein?
    Ich sehe sie in dem Kleid, in dem sie sich, vielleicht sechzehnjährig, fotografieren ließ, mit den blonden Zöpfen der Margarete (diese Rolle sang sie doch, oder studierte sie sie nur?), mit mädchenhaftem Ausdruck, Bewegungen, in einer Schürze: Es könnte das Theaterkostüm eines Landmädchens gewesen sein. Ich höre das Lerchenlied. In tausendjährigen Felsen aus Pappe, für den Auftritt der Schmuggler und ihren Chor.
    Sie erzählt vom Besuch des Rittmeisters X. Sie hat ihre letzte Konserve geöffnet: es waren Kirschen, und gab je eine in ein Gläschen mit Gin. Es sah wenigsten wie ein Cocktail aus.
    Ich warne sie: Rittmeister X. wohne in einem luxuriösen Hotel, habe ein Auto, spiele Golf. Giulia wisse doch, dass er nie Geld habe. Woher hat er es? Angeblich erhält er etwas von einer seiner Tanten. Sagte er Giulia etwas Genaueres über seine Tätigkeit?
    Er war in Paris, in Berlin, in Wien, in Prag. Er fragte sie nur, ob sie nicht Bekannte unter den Industriellen oder Fabrikanten hätte. Ich warne Giulia.
    Ihr Leben, könnte das ein Roman sein? Am Anfang stünde angeblich der Taufschein – ihre Schwester schilderte mir, wie es war, als Giulia geboren und von ihrer Tante auf ein Sofa gelegt wurde, damit aus ihr eine große Dame werde.
    Ich bin ein wenig gerührt, Giulia beachtet das nicht, sie ist von mir nur unhöfliches Benehmen gewöhnt. Ihr Leben, könnte das ein Roman sein?
    Sie trat in romantischer Umgebung auf, in Felsen, Schluchten, auf Meeren, in Arenen, tiefen Wäldern, auf Schlössern, in Dörfern. In vergangenen Jahrhunderten.Sie sang das Lerchenlied, das Wiegenlied, ein Liebeslied, sie war Mädchen, Königin, rein, verdorben, von Fürsten geliebt, von Dorfburschen – als wir zuletzt einen Ausflug in unseren Geburtsort machten, betörte sie da nicht den jungen Gastwirt, der sich durch ihr Zutun schon als berühmter Sänger sah?! – als Schmuggler.
    Sie hat die letzte Kirschkonserve geöffnet –
    Giulias Leben, könnte das ein Roman sein?!
    Auf keinen Fall, es ist Oper.

NACHWORT
BEL CANTO ATONAL
    Als der Roman 1944 im Prager ›Melantrich‹ Verlag in einer, wie in diesen Jahren üblich, broschierten Auflage erschien – das Manuskript hatte den ersten Preis in einem vom Verlag ausgeschriebenen Wettbewerb erhalten –, waren die Zeitumstände dem Roman alles andere als günstig. Dem letzten Jahr des Protektorats, der deutschen Besetzung von Böhmen und Mähren nach der Zerschlagung der Tschecho-Slowakischen Republik, folgten die turbulenten ersten Nachkriegsjahre und als die Autorin nach den Februarereignissen von 1948 (die Kommunisten usurpierten die Macht) sich entschloss, im Exil in den USA zu bleiben, verschwand sie bald aus dem Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit, wurde zu einer persona non grata. Erst nach fast 50 Jahren war ihr Roman innerhalb einer von Kristián Suda im Prager Verlag ›Prostor‹ edierten 12-bändigen Werkausgabe wieder zugänglich. Ihr Werk ist, ähnlich den Büchern anderer tschechischer Autoren, die das Exil einer Diktatur des Proletariats vorzogen, ohne Leser geblieben.
    In dem als Fragment 1947 veröffentlichten Romanessay Der Kopf des Künstlers heißt es:
    »Sie haben bestimmt Romane über Künstler gelesen, biographische Romane? Wie auch nicht! Dann glauben Sie bestimmt, die Figur eines Künstlers bestens zu kennen.
    Ich sage Ihnen, alle diese Bilder von Künstlern, ausgenommen vielleicht ihre Briefe und Tagebücher, sind falsch. Alle diese Romanbiographien über Maler, Schriftsteller, Musiker lügen, sie lügen fast alle von Anfang bis Ende, obwohl in einigen ein paar gute Beobachtungen und Gedanken sind. Denn was hilft es, die erschütternde Wahrheit zu sagen, den Weg zu ihr aber durch trügerische Tendenzen zu verschleiern?«
    Dieser Frontalangriff auf die Macht und
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