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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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wiederholende Ereignisse ein, permutierende Sätze (wie dievom nassen Schnee auf dem Asphalt), Sprechübungen, Silbentakte, sie zitiert Leuchtschriftreklamen, Werbesprüche und technische Produktbezeichnungen auf Lebensmitteln (ihr Mann, der Maler Zdeněk Rykr, arbeitete als Werbegrafiker für die größte tschechische Schokoladenfabrik), Börsenmeldungen, fügt Fragebögen ein, eine Liste (die Umberto Eco gerade als den Ursprung der Kultur entdeckte) über Krankheiten, die chemische Zusammensetzung des Elements Lithium, zitiert die bereits erzählte Geschichte als Ausschnitt eines Hörspiels, das aber wieder Text ist, oder als Interview mit den Theateragenten, lässt sogar in der Numerierung ein Kapitel aus, das sechzehnte (die schwarze Seite im Tristram Shandy ).
    Der Roman ist ein Raum, zurückgeworfen von einem Spiegel und dieser wiederum von einem Spiegel, das ad infinitum, wie auf Jan van Eycks Gemälde Die Arnolfini-Hochzeit , und natürlich gibt es im Roman auch ein Spiegelkabinett (im 17. Kapitel). Durch den Raum bewegt sich der männliche, als Person anonyme Erzähler, ein lange mit Giulia intim vertrauter Schriftsteller, montiert, die linearen Erzählstränge zerstörend, die unterschiedlichen Zeitebenen im Vor- oder Rückgriff des Erzählens (während Giulia, würde sie einen Roman schreiben, auf ein ungebrochenes Kontinuum von Geburt bis zum Tod des Helden setzt) und gesteht als Chronist ein, er höre Giulia oft nicht zu, weil sie ihn langweile oder sich ständig wiederhole, so dass er nicht immer wisse, wovon er rede – eine nachdrücklichere Selbstdekonstruktion des Erzählers ist zu jener Zeit nicht denkbar. Der moralische, wenn auch leichte Impetus in der Haltung der Erzähler bei Čapek oder Weiner unterscheidet sich davon deutlich.
    Julia Herold, die sich später Giulia nennt, spielt ihr ganzes Leben Rollen: auf der Bühne und im Alltag. Giulias Lebenswelten und Lebensweisen sind vom Schein bestimmt, vom Flitter, Glamour und Glanz einer trügerischen Welt.
    Die Dinge, mit denen sie sich umgibt, der Schmuck, die Kleider, die Möbel, die Männer, die Rollen, die sie spielt – den Rosenkavalier –, alles das hat Susan Sontag in einem Essay einmal als ›camp‹ bezeichnet, es ist der »Sieg des Stils über den Inhalt, der Ironie über die Tragödie«.
    Giulia will Macht ausüben, Macht über ein Publikum, das sie mit ihrer Stimme faszinieren will, mit bel canto, einem besonders virtuosen Gesang. Sie will Diva sein (doch eine wirkliche Diva, die Prager Sängerin Emma Destinnová, der sie sich vorstellen lässt, gibt ihr geringe Chancen), sie will Macht über die Männer, die sich in sie verlieben. Sie ist bereit, dafür Opfer zu bringen. Es ist dieses Auf und Ab, das die Erzählmaschine in Gang hält.
    In Giulia tritt dem Leser ein durch und durch »moderner Mensch« entgegen, wurzellos, karrierebewusst, ohne rechte Muttersprache, stets in Erwartung des Erfolgs. So wittert sie in den neu entstehenden Medien – im Film, im Radio – mit vollkommen untauglichen Vorstellungen eine Chance zum Aufstieg.
    Ihr Raum ist die Bühne, ob Oper, Operette, Kabarett oder Tingeltangel. Deshalb kann ihr Leben auch nicht Roman sein – diese Frage stellt im Schlusskapitel der Erzähler –, ein Roman bietet keinen öffentlichen Raum, ihr Leben ist Oper, mit dem Glanz der Lichter und den Pappkulissen.
    Bel canto ist die Persiflage auf einen Künstlerroman. Die Autorin unterstreicht in einem Vorspruch dieNotwendigkeit, den Roman zu erneuern, »sein eigenes zeitliches Gesetz« zu erkennen, und zitiert einen frühvollendeten deutschen Dichter, der sich 24-jährig, in einer Phase von Depression und Verfolgungsangst vor der Gestapo, 1936 in München umbringt: Eugen Gottlob Winkler. Sie zitiert aus seinem 1937 in Deutschland erschienenen Band mit nachgelassenen Texten, die nicht mehr in den Literaturkanon des Dritten Reiches passten. Součkovás Vertrautheit mit der modernen westeuropäischen Literatur, ihre Reisen gemeinsam mit ihrem Mann Zdeněk Rykr nach Paris und in andere europäische Metropolen, ihre mehrfachen Begegnungen mit dem Kreis um Henry Miller (in der Figur Loevens aus dem Kapitel »Fortsetzung: Die grünen Weiden« kann man ein Portrait Henry Millers vermuten) und Alfred Perlés, den Herausgebern der amerikanischen Zeitschrift The Booster/Delta in der rue Villa Seurat, lässt annehmen, dass sie über die Debatten um die Erneuerung des Romans wusste, die beispielgebenden Romane kannte, und doch führt sie
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