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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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begann zu wärmen –
    Die letzte Nachricht von Ernesto war mit der Post gekommen – der Katalog seiner großen politischen Bibliothek, die er zu verkaufen gedachte. Ungefähr nach einer Woche erfuhr ich, er hätte sie im Ganzen verkauft.
    Zwei Jahre darauf war der Krieg ausgebrochen.
    Ich weiß, auch wenn ich mich noch manchmal mit Ernesto treffe, die Welt, der er angehörte, wird nie mehr zurückkehren.

FINALE
    Giulias Bekannte sagen oft: Giulias Leben, das wäre ein Roman! Warum gerade ihr Leben? Obwohl ich es als Thema ausgesucht habe, begreife ich nicht, warum gerade das zur Romanbearbeitung geeignet sein sollte. Weil ich es selbst gewählt habe? Aber das heißt nicht, es ist geeignet, ganz im Gegenteil, es ist ein Leben, das zur banalsten Bearbeitung verführt. Gerade deswegen sagen alle: Ihr Leben, das wäre ein Roman!
    Im Übrigen weiß ich, sie denkt ähnlich darüber. Sie müssen Giulia schon selbst soweit kennen. Und dann habe ich Ihnen doch gesagt: Sie hält ihr Leben für einen Roman geeignet.
    Würden Sie mit ihr darüber sprechen, würden Sie das ihr gegenüber erwähnen, würde sie eine überaus wichtige Miene aufsetzen und sagen, sie werde das bestimmt einmal versuchen. Würden Sie sie aber so gut kennen wie ich, wüssten Sie, dass es nie dazu kommt.
    Ich habe ihnen auch erzählt, dass eines Nachmittags, als sich Giulia langweilte und gerade nicht wusste, worüber sie sprechen sollte, sie mir sagte, sie habe im Sinn, einen Roman zu schreiben (selbstverständlich den Roman ihres Lebens); den Plan habe sie schon im Kopf: Er werde mit dem Taufschein der Heldin beginnen und am Ende stehe ihre Todesanzeige. Was dazwischen liegt, scheint ihr mit Recht näher zu sein, denn das liefert ihr der erstbeste europäische Roman, den sie zur Handnimmt. Nein, Giulias Leben ist kein Roman, Giulias Leben ist Oper.
    Sie erscheint auf der Bühne. Als junges Mädchen mit blonden Zöpfen, dem jugendlichen Blick der blauen Augen. Mit der unaussprechlichen Frische ihrer achtzehn Jahre. Mit mädchenhaft feinen Zügen, Bewegungen, in einem Kleid, Opernkostüm und zeitgemäße Mädchenkleidung in einem: Giulia zwischen vierzehn und achtzehn. So, wie auf einer Fotografie dieser Jahre.
    Sie betritt die Bühne, stellt sich an die Rampe und ich höre sie singen, ihre Lerchenstimme.
    Die Szenerie: Wald, ein romantischer Wald mit Felsen, Höhlen, geheimen Gängen. Die Oper beginnt nicht direkt mit ihrem Auftritt. Vor ihr hören wir einen Chor, vielleicht von Landleuten oder Schmugglern.
    Jetzt kommt sie: wartet auf ihren Liebhaber und ahnt nicht, dass er seine Herkunft oder etwas anderes verbirgt, alles, was ihr Schicksal unglücklich beeinflussen wird.
    Der Liebhaber erscheint. Wir ahnen gleich, dass er etwas verbergen muss. Die in Wirklichkeit tausendjährigen Felsen sind hier aus Pappe. Denn ich kenne Josef, der solche Felsen baut. Sie nennen ihn Josef und ich weiß nicht, ob er wirklich so heißt oder ob es ein Spitzname ist. Romantische Felsen aus Pappe, ewige Zeugen von Josefs Arbeit, die Schmuggler, welche Schönheit!
    Wollen Sie nur Wahrheit und geben vielleicht dem Theater in der Natur den Vorzug? In wirklichen Felsen, schon tausendjährigen? Die Schmuggler scheinen Ihnen zu romantisch?
    Nun gut! Als ich das letzte Mal mit Giulia sprach, schien mir, dass sie der Rittmeister X. besucht hat (ich vergaßseinen Namen). Sie war überrascht, hatte ihn lange nicht gesehen, sie rechnet nach: etwa zehn Jahre.
    Wie hat er ihre Adresse erfahren?
    Giulia hatte weder einen Tropfen Alkohol, noch einen Keks zu Hause. Schließlich fand sie doch eine Flasche mit einem Rest Gin. Sie hat ihre einzige Konserve geöffnet, es waren zum Glück Kirschen, und gab in jedes Glas eine Kirsche. Das sah gut aus!
    Rittmeister X. erzählte Giulia, er habe Beziehungen zu militärischer Ballonseide, und fragte sie, ob sie nicht mit Industriellen oder Fabrikanten bekannte sei –
    Giulia sagt die Wahrheit, ich weiß immer, wenn Giulia die Wahrheit sagt. Und deshalb warne ich sie vor diesem Menschen. Sie wolle doch etwa nicht in eine Spionageaffäre verwickelt werden? Ich warne sie so eindringlich, dass sie nicht zugibt, Rittmeister X. sei (oder war) in sie verliebt. Schließlich hört sie auf, von seinem Besuch zu reden, also muss ich sie selbst ausfragen.
    Er lernte sie kennen, als sich in ihrem Salon bekannte Industrielle und Geschäftsleute trafen. Vielleicht war er überrascht, Giulia in offenbar bescheidenen Verhältnissen vorzufinden. Trotzdem konnte
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