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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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sie, die sich immer so gut beherrschte, würde beinah losschreien: Wie könne Ernesto es wagen?!! Ernesto, dessen ganzes Leben ein Fiasko ist (Fiasko, sagt Giulia)? Ernesto, der sich nicht beklagen könne, es fehle ihm an Gelegenheiten zu zeigen, was in ihm stecke?! Das erdreiste sich Ernesto über sie zu sagen, die größere Erfolge habe und noch größere Erfolge haben werde! In letzter Zeit habe sie einen Plan, der ihr nicht nur künstlerischen Erfolg, sondern auch große Einnahmen bringen werde. Vergleichen wir nur die Stellungen Ernestos und Giulias! Giulia könne auf sich selbst stolz sein, aber Ernesto?!
    Wer kennt Ernesto besser als Giulia?! Sie kennt doch seinen Ehrgeiz, der ihn immer auf den falschen Weg geführt hat. Er hat Giulia ausgelacht, ausgelacht, weil sie sich denkt, er könnte sie heiraten, er, Ernesto, der nicht mal eine Mitgift hat. Als ihr Ernesto die Heirat angeboten hat undsie ihm eine ausweichende Antwort gab, war das für sie eine Genugtuung. Damals hätte sie ihn vielleicht retten können, aber er konnte nicht von ihr verlangen, ihr Schicksal mit dem Los eines Menschen zu verbinden, den der Ehrgeiz auf Abwege bringen wird. Vielleicht wäre es ihr nicht einmal gelungen, auf ihn Einfluss zu gewinnen. Wir wissen doch, wie starrköpfig Ernesto war; ließ er sich denn je von jemandem raten?
    Natürlich: Will sich Giulia an ihre Liebe zu Ernesto sentimental erinnern, will sie diese im schönsten Licht sehen, wird sie Ernesto auch die besten Eigenschaften zuerkennen: dann hatte er die größten Fähigkeiten, eine große Persönlichkeit zu werden (sagt Giulia), dann war es nur die Macht des Schicksals – destino avverso –, die seine Hoffnung vernichtet hat.
    Wenn es ihr aber nur im Entferntesten scheint, jemand könne ihre eigene Vergangenheit als eine Reihe von Misserfolgen sehen, wird Giulia aufbrausen: Wer hat sich da erdreistet?! Ernesto?!
    Ernestos ganzes Leben war nichts anderes als Selbstüberschätzung, an seine Fähigkeiten glaubte niemand – nur er selbst! Und Giulia – ja Giulia, ihr Verstand setzte erst ein, als sie achtzehn war!
    Sie hätte ihn doch später heiraten können, aber sie wusste, Ernesto kann nicht einmal den Erfolg festhalten, der ihm in den Schoß gefallen ist. Wo wäre sie heute, hätte sie ihn geheiratet? Und wo ist er heute durch sein eigenes Bemühen?!
    Ernesto ist natürlich verblendet und weiß nicht, dass sich die Situation heute umgekehrt hat. Heute ist Giulia oben.
    Ich versichere Ihnen, niemand würde sich in einem solchen Augenblick erdreisten, Giulia zu widersprechen oder vielleicht nur auf die Frage zu antworten. Wagen wir vielleicht einem Schauspieler zu antworten, wenn er von der Bühne herab fragt? Wir antworten ihm im Geiste, wenn überhaupt, aber wir antworten ihm nicht laut.
    Dennoch entrüstet sich Giulia über eine Beschuldigung, die niemand ausgesprochen hat: Giulia hatte Erfolge! (Niemand sagte doch, dass sie keine hatte!) Sie ist zwar für den Moment in eine unangenehme Situation geraten, doch niemand darf aus ihren zeitweiligen Schwierigkeiten Schlüsse ziehen (niemand hat das getan). Ernesto denkt sich (ach, Ernesto hat etwas gesagt) –
    Giulia aß gestern mit ihm zu Abend, aber sie sind im Zorn auseinandergegangen. Warum? Weil Giulia Ernesto endlich durchschaut hat. (Nach so vielen Jahren?)
    Ernesto hat gewagt, Giulia einfach wie jemanden zu behandeln, der es so weit gebracht hat wie er! (Hat er das tatsächlich gewagt?)
    Ja, Giulia sieht gut, wohin es Ernesto gebracht hat, vor ihr muss er sich nicht verstellen. Sie sah sein an den Ärmeln abgewetztes Jackett, die ausgefranste Krawatte, aber auch wenn das nicht wäre! Nur Giulia ist nicht so taktlos, dass sie das berühren, ihn daran erinnern würde. Er hat ihr einmal ins Gesicht gesagt, er könne sie nicht heiraten, weil er keine Mitgift habe! Aber Giulia liebte ihn. (Wirklich?) Er hat sie abgewiesen, sie würde angeblich seine Karriere behindern. Wo ist diese Karriere?! Noch ist Zeit, um vor Giulia zu bekennen, dass sein Leben ein Fiasko ist.
    Wissen Sie, wie Giulia das erlebt hat? Sie sah einen sentimentalen Ernesto! Ja, einen sentimentalen! Ernesto! Ist das zu glauben? Niemand muss Giulia das glauben, sie selbst konnte es nicht glauben, als sie zusammen in der Weinstube saßen und Ernesto ihr gesagt hat: »Das Leben ist uns nicht gelungen.«
    Giulia ist aber nicht sentimental, nicht schwach. Die Schwierigkeit, in die sie geraten ist, hat sie nicht verschuldet, wogegen Ernesto seine
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