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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition)
Autoren: Milada Součková
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Polizeibeamte seinen Dienst tun.
    Ich erinnere mich, zu ähnlicher Stunde mit einem weißgekleideten Mädchen am königlichen Park vorübergegangen zu sein und dort sahen wir, an einem Heckenzaun stehend, einen Herrn in dunklen Kleidern gehen, die Hand auf dem Rücken, eine Zigarre im Mund; das Mädchen hat plötzlich meine Hand ergriffen und mit fremdem Akzent gesagt: » Das ist der König von Rumänien! «
    Ich habe sie nicht einmal gefragt, woher sie das wisse, damals interessierten mich solche Dinge nicht. Ich erinnere mich nur, wie sich plötzlich ihr Gesicht veränderte und sie gegrüßt hat. Zu meinem Erstaunen (ich stand bewegungslos neben ihr) hat uns der Herr im dunklen Anzug zugenickt, gerade so wie ein Professor artigen Schülern, und seine Schritte in die Tiefe des Parks gelenkt. Das Mädchen blieb so lange am Zaun stehen, bis der Herr fort war, erst dann war sie willens, mir auf dem Weg zu folgen, auf dem ich eine Stelle suchte, wo ich anfangen könnte, sie zu küssen.
    Was erzählt mir Giulia da? Meine eigene Jugendgeschichte? Der Polizeibeamte durfte sich doch nicht von seinem Dienst entfernen! Ich kann ihr das aus eigener Erfahrung bestätigen. Nicht einmal während der Siesta, in der Stunde der größten Hitze, wenn die Mehrheit der Leute das Haus nicht verlässt.
    Ich vergesse, dass Giulia einwenden kann: Jeder Beamte hat irgendwann frei! Aber wo bliebe dann das Romanhafte der Geschichte?
    Giulia wird sagen, was ich erwarte. Sie wird mir zwar nicht direkt sagen, der Polizeibeamte hätte den Dienst vernachlässigt, nein, das lässt sie offen. Danach schildert sie ihr Treffen mit ihm.
    Spricht sie vielleicht auch über Doldengewächse, vielleicht von einer Umarmung? Dann mussten sie zusammen zu ein paar Plätzen gelangt sein, die ich mit meinem weißgekleideten Mädchen immer mit Beben aufgesucht habe.
    Die Stelle, von der Giulia spricht: der sanfte Hang, wo wir lagen; wenn ich tief atme, spüre ich seinen Duft.
    Ein Schuss fiel! Nicht damals, sondern in Giulias Erzählung. Tatsächlich, es war die Rede von jemandem, der in der hiesigen Spielbank viel Geld verloren hatte –
    Angeblich sei der Polizeibeamte bei dem Schuss erblasst, habe Giulia aus den Armen gelassen, sie misstrauisch angeschaut und gesagt: » Der Pašič ist beim König! «
    Phantasieren Sie weiter: Der »Wachtmeister« setzte natürlich voraus, Giulia könnte mit dem Schuss in Verbindung gebracht werden. Er wird aus dem Dienst gelockt –
    Falls er Giulia künftig ausweichen wird, was mir wahrscheinlich scheint (wer weiß, ob Giulia nicht den Boden für den Fall vorbereitet, wenn sie beim »Wachtmeister« erfolglos sein wird), hat Giulia eine Auslegung wie im Roman.
    Er könnte ihr ausweichen, weil sie als Frau mit einem Kind zu ihm kam – das wird sie nicht zugeben. So aber war das in Wirklichkeit.
    Hat sie sich die ganze Geschichte mit dem Schuss nicht ausgedacht?
    Irgendjemand hat mein Drängen nach dem Mädchen im weißen Kleid, unter dem der gebräunte Körper durchschimmerte, den ich aus der Badeanstalt so gut kannte, unterbrochen. Ich höre seine schlechte Aussprache, spüre den Druck seiner schlanken Schenkel an meinen Beinen.
    Was hat sich Giulia ausgedacht, und was ist Wahrheit?
    Mich würde interessieren, ob jener Polizeibeamte, zu dem wir »Wachtmeister« sagten und mit dem wir Giulia aufzogen, zur Begleitung König Alexanders bei seiner tragischen Marseiller Reise * gehört hat.

SCHACHBRETT
    Regen peitscht Plätze – in Mailand, Verona, Prag, Triest, Rom, in Berlin.
    Zeitungen verkünden ihre Schlagzeilen und die Pferde unter den Reitern auf dem riesigen, von den quadratischen Plätzen europäischer Städte und Großstädte geschaffenen Schachbrett, bäumen sich auf. Wie viele Züge überqueren die Eisenbrücken europäischer Ströme und ihrer Ufer, Züge, auf deren Bänken sich zerlesene Zeitungen zusammenrollen? Noch vor Kurzem wurden scheinbar nicht messbare Zeiten und Entfernungen von der Geschwindigkeit eines Zuges durcheilt.
    Auf der Uferpromenade – an Etsch, Tiber, Moldau –, auf der Uferpromenade geht Ernesto Olivo – wie lange haben wir ihn nicht gesehen – im wasserdichten Mantel, der mich an eine Uniform erinnert. Er denkt nicht an Giulia, es sei denn, er wurde an sie erinnert, als er mich getroffen hat. Ich weiß, er denkt an die Springer, Türme, Könige und Bauern des großen Schachbretts, dessen Aufgaben, theoretische und schwierige Aufgaben, er gern löst und sich dabei historischer Beispiele
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