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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
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Ambitionen der Zierholts interessierte sich Hubert und kam über Worte wie »>Trainingsabend« und »Jugendriege« alsbald zu versponnenen Assoziationen.
    »Ich bin völlig dabei. Es riecht nach Turnhalle, nach Parkettwachs, Schweiß und abgeschmirgelten Reckstangen,- die Kapelle klingt wie ein erweiterter Korrepetitor; die Herren befinden sich unablässig im Feigaufschwung und müßten eigentlich ihre Hände in Magnesium tauchen, bevor sie nach den Damen greifen, ganz abgesehen von der dringenden Notwendigkeit einer Fahne...« Lukas lächelte.
    »Deine Übertreibungen haben wenigstens den Vorzug, daß sie amüsant sind.«
    »Übertreibungen? Das gesamte deutsche Vereinswesen entspringt der Sehnsucht nach Gefolgschaft. Tanz ist schließlich kein Vergnügen, Tanz ist Sport. Dienst am gehobenen Volkskörper. Das erfordert Statuten, Training, Enthaltsamkeit in Phantasie und Grazie. Es kyffhäusert, geht um Fotos und Pokale, um vorzeigbare Beweise für die Enkel!«
    »Die hat Zierholt in Fülle. Vom Fußball wie vom Krieg.«
    »Da hast du die Parallele! Die Tuchfühlung ist es, der hier friedensmäßig gefrönt wird. Freiheit durch Zwang. Der Betriebsangehörige langweilt sich in seiner Sicherheit und strebt nach Unterscheidung. Am Arbeitsplatz hieße das, aufs Jubiläum warten, bis er endlich eine Ehrung erfährt. Das kann aber sein in pflichttreuem Versagen lädiertes Selbstbewußtsein nicht abwarten. Der Pokal wird zum Ausweichorden verhinderter Helden. Doch laß uns zufrieden sein. Solange der Tanz unter »Sport« geführt wird, ist die Kunst vor ihm sicher.«

    Die Liane der Geborgenheit, die — von Zierholts im Kollektiv gehegt — Lukas’ Zimmer umrankte, hatte bereits eine stattliche Höhe erreicht. Das traute Heim zog sich wie eine Schlinge zu. In Härtegraden zwischen drei und zehn Minuten schwankend, war das Ei der Anerkennung auf dem Frühstückstablett inzwischen zu einer bleibenden Einrichtung geworden. Zierholts hatten ihn »angenommen« und würdigten stumm seinen Schmerz. Der Familienanschluß wuchs. Sonntags bat man ihn regelmäßig zum Mittagessen, wofür er sich gelegentlich mit einer Einladung ins Kino revanchierte. Nicht daß sie ihn bedrängt hätten, sie lauerten ihm mit Wohlwollen auf. Ein Schritt über den Korridor genügte, um seiner habhaft zu werden.
    »Na, Herr Dornberg, wie wär’s mit einem Spielchen? Sie sind mir noch eine Revanche schuldig, nach Ihrem haushohen Sieg gestern.«
    Oft war Lukas um diese Spielchen froh. Ist doch nichts deprimierender, als in derselben Stadt gewissermaßen Familienstand und Wohnung gleichzeitig zu ändern. Alles erscheint plötzlich anders. Der Weg zum Arbeitsplatz, der Weg ins Vergnügen, der Weg nach Hause. Und dann noch dieses Zuhause! Obwohl das Zimmerchen, mit den paar Habseligkeiten aufgeschürzt, recht gemütlich geworden war, hielt es doch keinem Vergleich mit der alten Wohnung stand. Lukas las viel und sah seine Freunde selten. Wie es weitergehen sollte, wußte er selbst noch nicht und machte sich zunächst auch keine Gedanken darüber. Bei plätscherndem Arbeitssegen verharrte er abwartend, genoß die Zuwendungen aus dem Füllhorn des Zierholtschen Familienglücks, die Spielchen, die Appetithappen und das zimmerlindenhafte Erblühen Renates.
    Seit jenem Abend, da ihre Eltern zum erstenmal in den Klub gegangen waren, hatte sich ihre Frisur nicht mehr beruhigt. Täglich bot sie neue Effekte. Mal nach links gekämmt und glatt, dann wieder alles nach oben und kraus; mal Pferdeschwanz, mal aufgelöst; oder mit eingefärbter »Effektsträhne«, Veränderungen in einem Ausmaß, daß es sogar einem frisch entlobten Untermieter auffallen mußte. Auch Duft und Ausdruck durchliefen alle Höhen und Niederungen des Geschmacks. Suchte sie nach einer passenden Schablone moderner Gesichtsuniformierung, oder versuchte sie nur zu gefallen? Wahrscheinlich beides. Das ganze Mädchen befand sich im Aufbruch, die Mimik ihrer Erscheinung wurde pointiert.

    Dann geschah das Unvermeidliche. »Es wird Ihnen gefallen«, versicherte Vater Zierholt schon auf der Hinfahrt. »Heute trainieren nur B-Klasse und Jugendriege.«
    Das Trainingslager befand sich in einem kleinen Hotel. An der Garderobe drängelten die Klubmitglieder und förderten aus den Tiefen bauchiger Aktentaschen oder schlauchartiger Stoffbeutel ihr glänzendes Arbeitszeug, die Tanzschuhe, zutage. Lukas half nach Bemühungen um Frau Zierholt auch Renate aus dem Mantel, die in ihrem rosa Kleid und einer
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