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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
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Männersache. Bedächtig entzündete er einen weiteren Stumpen und erging sich in philosophischen Betrachtungen nach Hausmacherart:
    »Liebe ist ein zweischneidiges Schwert. Aber ein Mann wie Sie hat doch Chancen! Mein Gott, wenn ich noch mal so jung wäre, also...« Er redete sich so in Feuer, daß Lukas den Eindruck nicht los wurde, als käme ihm das Leid seines Untermieters nur zu gelegen, um lange Zurückgehaltenes endlich an den Mann zu bringen, was auch durchaus den Tatsachen entsprach. Bei einem derart enthusiasmierten Gastgeber war es klar, daß sich der Abend noch gewaltig in die Länge ziehen würde. Zierholt erkundigte sich eindringlich nach Lukas’ Beruf; lobte seinen Erfolg an Hand des Autos, seinen Geist durch die Menge der Bücher und schwang sich selbst mit einer flotten Flanke zum Niveau seines Gesprächspartners auf. Wie von ungefähr ließ er Andeutungen über »eigene Studienzeit« und »schlagende Verbindung« einfließen, um jedoch das Thema auf präzise Fragen seines Untermieters in Richtung »Kriegswirren« wieder abzubiegen. Diese Notlüge brachte ihn auf ein Gebiet, das Lukas schon lange befürchtet hatte. Und als schließlich die Damen mit einer Riesenplatte Appetithappen zurückkehrten, schlug der Hausherr bereits das zweite Album auf.
    Der Deckel war in Leinen gebunden und mit einem ausgestanzten Blechemblem verziert; muntere Krieger hielten ein Spruchband mit der Aufschrift »Meine Dienstzeit« .
    »Hier, der ohne Helm bin ich. Ich habe nämlich nie einen aufgesetzt. Wir hatten schon drei Tage nichts gegessen, als das Bild gemacht wurde.«
    »Gell, Sie nehmen sich, Herr Dornberg!«
    »Grete, du siehst doch, daß wir gerade Bilder anschauen! — Da bin ich in Paris! Tolle Zeit! Aber das hören die Damen nicht so gern. — Und das hier ist vom Fußball. Hier bin ich! Ich hatte mir schon in der ersten Halbzeit den Fuß verstaucht... der Sanitäter mußte kommen. Da sieht man noch den Dreck vom Rasen an meinem Knie. Gewonnen haben wir trotzdem. Da drüben auf dem Buffet — sehen Sie — der zweite Pokal links! Ja, dreißig Jahre ist das nun schon wieder her.«
    Bei Stumpen No. 4 und Album No. 5 zeichnete sich plötzlich im Nebel Renates Gestalt ab. Erst jetzt sah Lukas sie richtig. Das rosa Kleid, anscheinend das selbstgeschneiderte, stand ihr wirklich gut. Sie hatte eine Kaffeekanne in der Hand. Lukas nahm die Tasse vom Tisch, und Renate schenkte ihm ein. Gespannt wartete er, aber sie hielt den Deckel nicht mit dem Zeigefinger fest, was er dankbar bemerkte. Nach einem abschließenden Likör, nicht ohne den entsprechenden Vers von den Sorgen, durfte er sich mit einer wohltuenden örtlichen Betäubung zurückziehen.
    Die bürgerliche Gastlichkeit als Therapie wirkte so nachhaltig, daß er noch im Traum den Feldwebel Zierholt sah, wie er die Rekruten zum Tanzen antreten ließ. Lukas selbst machte seine Schritte ausgezeichnet. Frau Zierholt kam mit einem großen Tablett über den Kasernenhof, um ihm einen Appetithappen zu reichen. — Gell! — Und Renate schenkte Kaffee ein. Ohne Zeigefinger. Und als er am anderen Morgen mit leichtem Schädelbrummen aus dem Bad trat und sein Frühstückstablett ins Zimmer holte, fand er darauf ein weichgekochtes Ei.

    »Kathi, noch einen Kognak bitte!« bestellte Lukas, ohne ihre Frisur zu loben.
    »Sei du nur schön traurig, das kräftigt«, sagte Hubert. »Man kann gar nicht oft genug nicht heiraten! Was meinst du, wie schön das Lehen wird, wenn man erst das zeugungspflichtige Alter hinter sich hat. Klarer Kopf, zufriedene Lenden und endlich Geduld.«
    »Der Unbetroffene ist immer der Weise. Ich fühle mich nicht sonderlich heiter, selbst auf die Gefahr hin, daß du jetzt mit »deutscher Tiefe« daherkommst.«
    »Das ist ein grundlegender Irrtum. Ich habe es nie gewagt, deutsche Tiefe für ein echtes Gefühl zu halten. Daß dir die Geschichte nahegeht, ehrt dich als Mensch, und als der bist du staatenlos.«
    Die Verständnislosigkeit, mit der Hubert über Lukas’ seelische Verfassung hinwegging, war ein Beweis aufrichtigen Wohlwollens, ein Archetyp männlicher Psyche. Hatte nicht Vater Zierholt genauso reagiert?
    »>Was ich weit interessanter finde«, fuhr er fort, »>ist der Abend bei deinen Wirtsleuten. Da hast du an der Wurzel der Nation gerochen. Solche Erlebnisse sind unbezahlbar.«
    »Du wirst lachen, ich habe mich dabei sehr wohl gefühlt.«
    Der Abend nahm eine Wendung ins Fröhliche. Insbesondere für die tänzerisch-gesellschaftlichen
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