Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
den Fuß auf die Wanne gelegt, die Glut schürte. Lawrence fragte den Wacher mit einer Kinnbewegung in Richtung Knöchel.
    »Er ist aus dem Laster gefallen«, erklärte Soliman.
    »Neuigkeiten vom Texaner, Junge?« fragte der Wacher Adamsberg, um das Thema zu wechseln.
    »Ja. Austin hat mir sein komplettes Curriculum vitae gefaxt.«
    »Was ist das, ein Curriculum vitae?«
    »Sein Lebenslauf«, erklärte Soliman.
    »Gut. Ich versteh gern, worum es geht.«
    »Nun, der Typ hat aufgehört zu laufen«, bemerkte Adamsberg. »Padwell ist vor anderthalb Jahren gestorben.«
    »Du hattest unrecht«, stellte Soliman fest.
    »Ja. Das hast du mir schon gesagt.«
    Adamsberg verzichtete mit seinem verletzten Arm darauf, zusammengekauert im Auto zu schlafen. Statt dessen rief er bei der Gendarmerie an und ließ sich in das Hotel in Montdidier fahren. Den Sonntag verbrachte er in einem kleinen, überheizten Zimmer damit, die Nachrichten zu hören, sich nach Neuigkeiten von Sabrina zu erkundigen und erneut die Akten zu lesen, die in den letzten acht Tagen eingegangen waren. Von Zeit zu Zeit rollte er das Foto von J. N. Padwell auseinander und betrachtete es mit einer Mischung aus Neugier und Bedauern, wobei er das Bild des Mannes im Schatten und im Licht hin und her bewegte. Er besah es sich von der einen Seite, von der anderen, drehte es in alle Richtungen und senkte seinen Blick starr in die abwesenden Augen. Dreimal zog er sich in seinen Schlupfwinkel zurück, den er in einem verlassenen Gemüsegarten entdeckt hatte. Er zeichnete den Wacher mit seinem Fuß auf der Wanne, aufrecht und mit über die Augen gezogenem, schwarzem Hut mit Band. Er zeichnete Soliman mit nacktem Oberkörper, leichtem Hohlkreuz, hochmütigem Blick, in einer jener stolzen Posen, die er so gerne einnahm und die er alle vom Wacher übernommen hatte. Er zeichnete Camille, die Hände am Steuer des Lasters, das Gesicht zur Straße gewandt. Er zeichnete Lawrence, der sich auf sein Motorrad stützte und ihn mit dieser stummen Frage in seinem blauen Blick ernst ansah.
    Gegen halb acht abends klopfte es an der Tür, und Soliman trat ein, glänzend vor Schweiß. Adamsberg hob den Blick und schüttelte den Kopf, womit er ihm sagen wollte, daß nichts Neues geschehen sei. Massart verhielt sich ruhig.
    »Ist Laurence immer noch da?« fragte er.
    »Ja«, antwortete Soliman. »Das soll dich nicht hindern, zu uns zu kommen, nicht? Der Wacher will ein Stück Rindfleisch auf dem Hühnerkäfig grillen. Er erwartet dich. Ich bin gekommen, um dich zu holen.«
    »Hat er Neuigkeiten von George Gershwin?«
    »George Geshwin ist dir doch völlig schnurz.«
    »Nicht ganz.«
    »Hältst du wegen dem Trapper Abstand?«
    Adamsberg lächelte.
    »Es gibt vier Betten«, sagte er. »Wir sind fünf.«
    »Ein Mann zuviel.«
    »Ganz richtig.«
    Soliman setzte sich stirnrunzelnd aufs Bett.
    »Du verdrückst dich«, sagte er, »aber du tust nur so. Sobald der Trapper sich umdreht, schlüpfst du auf seinen Platz. Ich weiß, was du machst. Ich weiß es sehr gut.«
    Adamsberg antwortete nicht.
    »Und ich frage mich, ob das redlich ist«, fuhr Soliman angestrengt fort, den Blick zur Decke gerichtet. »Ich frage mich, ob es korrekt ist.«
    »Korrekt in bezug auf was, Sol?«
    Soliman zögerte.
    »In bezug auf die Regeln«, sagte er.
    »Ich hatte gedacht, du scheißt auf die Regeln.«
    »Das stimmt«, gab Soliman erstaunt zu.
    »Also?«
    »Trotzdem. Du schießt dem Trapper in den Rücken.«
    »Er wendet mir nicht den Rücken zu, er steht mir gegenüber. Er ist kein Naivling.«
    Soliman schüttelte unzufrieden den Kopf.
    »Du leitest den Strom um«, sagte er, »du lenkst den Fluß vorbei, du sammelst das ganze Wasser für dich und schleichst dich in das Bett des Trappers. Das ist Diebstahl.«
    »Es ist das genaue Gegenteil, Soliman. Alle Liebhaber von Camille - denn wir reden doch wohl über Camille, nicht wahr? -, alle Liebhaber von Camille schöpfen aus meinem Fluß, und alle meine Geliebten schöpfen aus ihrem. Flußaufwärts gibt es nur sie und mich. Flußabwärts gibt es zuzeiten eine ganze Menge Leute. Deshalb fischt man unten in trüberem Wasser als oben.«
    »Ach so«, sagte Soliman ratlos.
    »Um es zu vereinfachen«, sagte Adamsberg.
    »Und im Augenblick fährst du flußaufwärts?« fragte Soliman zögernd.
    Adamsberg nickte.
    »So daß ich mich«, fuhr Soliman fort, »wenn ich diese verdammten fünfzig Meter überwunden hätte und sie hätte berühren können, noch immer flußabwärts von eurem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher