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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht
Autoren: Fred Vargas
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ganzen idiotischen hydrographischen System befunden hätte?«
    »So ungefähr«, sagte Adamsberg.
    »Weiß das Camille, oder ist das deine eigene Träumerei?«
    »Sie weiß es.«
    »Und der Trapper? Weiß der das?«
    »Er denkt darüber nach.«
    »Aber heute abend erwartet dich der Wacher. Er hat sich den ganzen Tag, den Fuß auf der Wanne, ziemlich gelangweilt. Er erwartet dich. Genaugenommen hat er mir befohlen, dich zurückzuholen.«
    »Das ist etwas anderes«, erwiderte Adamsberg. »Wie bist du hergekommen?«
    »Mit dem Mofa. Du brauchst dich bloß mit dem linken Arm an mir festzuhalten.«
    Adamsberg rollte seine Unterlagen zusammen und stopfte sie in seine Jacke.
    »Nimmst du das alles mit?« fragte Soliman.
    »Manchmal kommen mir Ideen durch die Haut. Ich habe das lieber am Körper.«
    »Erhoffst du dir wirklich was davon?«
    Adamsberg verzog das Gesicht und zog seine durch die Papiere beschwerte Jacke an.
    »Hast du eine Idee?« fragte Soliman.
    »Unterschwellig.«
    »Das heißt?«
    »Das heißt, daß ich sie nicht sehe. Sie zittert am Randemeines Gesichtsfeldes.«
    »Nicht sehr praktisch.«
    »Nein.«
    In das angespannte Schweigen hinein erzählte Soliman seine dritte afrikanische Geschichte und übertönte mit seinen Worten die dumpfen Blicke, die in alle Richtungen geworfen wurden, von Camille zu Adamsberg, von Adamsberg zu Lawrence, von Lawrence zu Camille. Adamsbergs Blick schien manchmal zu flackern, wenn er Lawrence ansah. Er gibt nach, dachte Soliman, er gibt nach. Er wird seinen ganzen Fluß im Stich lassen. Unter dem aggressiven Blick des Kanadiers senkte der Kommissar erneut den Blick auf seinen Teller und verharrte so, wie benommen, absorbiert von den Motiven auf dem Steingutteller. Soliman fuhr mit seiner Geschichte fort, einer ziemlich verwickelten Angelegenheit zwischen einer rachsüchtigen Spinne und einem verängstigten Vogel, deren Ende er zunächst selbst noch nicht kannte.
    »Als der Gott des Sumpfes die auf den Boden gefallene Brut sah«, sagte Soliman, »wurde er von großem Zorn ergriffen und ging los, um den Sohn der Spinne Mombo zu suchen. ›Warst du es, Sohn der Mombo‹, fragte er, ›der die Äste der Bäume mit deinen verdammten Mundwerkzeugen abgeschnitten hat? Von jetzt an wirst du nie mehr Holz mit deinem Munde nagen, sondern Fäden mit deinem Hintern spinnen. Und mit dem Faden wirst du Tag für Tag die Äste wieder ankleben und die Vögel nisten lassen.‹ - ›Rein gar nicht‹, erwiderte der Sohn der Mombo...«
    »God«, unterbrach Lawrence. »Versteh ich nicht.«
    »Darum geht es nicht«, erklärte Camille.
    Gegen halb eins war Adamsberg mit Soliman allein. Er lehnte dessen Angebot, ihn ins Hotel zu bringen, ab, die Fahrt auf dem Mofa war für seinen Arm ziemlich strapaziös gewesen.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »Ich gehe zu Fuß zurück.«
    »Das sind acht Kilometer.«
    »Ich brauche ein bißchen Bewegung. Ich nehm die Abkürzung durch die Felder.«
    Adamsbergs Blick war so distanziert, so verloren, daß Soliman nicht insistierte. Es kam vor, daß der Kommissar in andere Welten abtauchte, und in solchen Momenten verspürte niemand Lust, ihn zu begleiten.
    Adamsberg verließ die Straße und bog in den schmalen Weg ein, der zwischen einem Feld mit jungem Mais und einem Flachsfeld hindurchführte. Die Nacht war nicht sehr hell, es war windig, im Westen waren im Lauf des Abends Wolken aufgezogen. Er kam langsam voran, den rechten Arm angewinkelt, den Kopf den Steinen zugewandt, die eine weiße, gewundene Linie am Boden bildeten. Der Weg führte auf die Ebene, und Adamsberg orientierte sich am dunklen Kirchturm von Montdidier, den man in der Weite erkennen konnte. Er verstand noch immer nicht, was ihn an diesem Abend so erschreckt hatte. Es mußte diese Geschichte mit dem Fluß gewesen sein, die ihm die Sicht trübte, seine Gedanken verzerrte. Und doch hatte er etwas gesehen. Die unbestimmte Idee, die am Rand seines Gesichtsfelds gezittert hatte, nahm Form und Konsistenz an. Eine furchtbare, nicht hinnehmbare Konsistenz. Aber er hatte etwas gesehen. Und alles, was an dieser Wolfsmensch-Geschichte quietschte wie falsch laufende Räder, fügte sich angesichts dieser Hypothese geschmeidig ineinander. Der absurde Tod von Suzanne Rosselin, die immer eingehaltene Route, Crassus der Kahle, die Fingernägel von Massart, die Wolfshaare, das fehlende Kreuz, alles paßte zusammen. Winkel und Kanten traten zurück, und übrig blieb nur noch eine glatte, klare, ganz
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