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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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»Es stimmt, dass ich in Gedanken oft woanders bin, aber ich liebe dich, das weißt du doch. Und ich liebe unser gemeinsames Kind.«
    Auf dem lächelnden Gesicht ihres Mannes lag ein melancholischer Schatten. Es war nicht das erste Mal, dass er sie so ansah. Sie senkte den Blick und fragte nicht weiter.
    Aus Angst, verletzt zu werden, wollte sie das Gespräch nicht vertiefen. Besser, sie gab sich mit Guidos Antwort zufrieden, zumindest vorläufig.
    Jemand rief aus dem Garten nach ihm.
    Â»Die Arbeiter brauchen dich«, sagte Léonie, froh über die Unterbrechung.
    Während er zu den Männern ging, blieb sie stehen, um die an den Arkaden befestigten Lichterketten zu betrachten.
    Plötzlich hörte sie hinter sich ein dumpfes Geräusch. Sie wirbelte herum und nahm ein schwaches Wimmern wahr, das aus den Myrtensträuchern kam. Sie trat näher und sah eine dunkel gekleidete Gestalt zwischen den Ästen am Boden liegen.
    Â»Hilfe!«, jammerte Bianca Cantoni mit zittriger Stimme.
    Léonie beugte sich über sie, nahm ihren Arm und half ihr aufzustehen.
    Â»Wer bist du? Was willst du?«, fragte die alte Dame empört.
    Â»Ich bin’s, Léonie, grand-maman «, erwiderte die junge Frau, während sie sich fragte, wie es die Matriarchin wohl angestellt hatte, der Aufsicht der Dienstboten und ihres Mannes zu entkommen.
    Â»Hast du dich verletzt?«, fragte sie, während sie Bianca stützte. Dabei reichte ihr Arm um deren gesamte Taille.
    Â»Jetzt erkenne ich dich, lass mich los, ich brauche deine Hilfe nicht, du Erbschleicherin!«, zischte die Alte, während sie versuchte, sich ihr zu entwinden.
    Â»Ich will nicht, dass du noch einmal stürzt. So lass dir doch helfen!«, beharrte Léonie.
    Â»Du und all die anderen, ihr seid nichts als ein Haufen Parasiten und Blutsauger. Ich verachte euch. Lass mich!« Sie riss sich los und stürzte erneut.
    Â»Guido!«, schrie Léonie. »Komm bitte her, schnell!«
    Als ihr Mann herangetreten war, flüsterte sie ihm zu: »Sie hat mich beleidigt und möchte nicht, dass ich ihr helfe. Kümmere du dich um deine Großmutter. Ich gehe ins Haus zurück, denn mir ist kalt.« Rasch zog sie sich zurück.
    Die Alte war unausstehlich. Léonie verstand nicht, wieso die Familie sie stumm ertrug, aber es war eine der seltsamen Eigenheiten der Cantonis.
    Sie betrat das Wohnzimmer mit seinen Teppichen, Sofas und Sesseln. An den Wänden hingen alte Schlachtengemälde.
    Â»Komm her, mein Kind«, sagte die Schwiegermutter, die sich vor dem knisternden Kamin in einem Sessel niedergelassen hatte.
    Â»Hier bin ich, maman Celina!«, erwiderte Léonie und ging auf sie zu. Sie gab ihr einen Kuss auf die runde Wange, die nach Veilchenwasser roch.
    Â»Alles in Ordnung?«, fragte die Frau.
    Â»Es geht so. Ich hatte gerade eine Auseinandersetzung mit Nonna Bianca. Sie war allein im Garten und ist gestürzt. Ich bin ihr zu Hilfe geeilt, aber sie hat mich beschimpft. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, maman , aber ich halte sie für eine bösartige Frau.«
    Celina seufzte schicksalsergeben.
    Â»Sie ist nur unglücklich. Das war sie schon immer, zumindest haben mein Schwiegervater und mein Mann mir das so erzählt. Sie selbst redet ja nicht. Ich weiß nicht, mit welchen Dämonen sie zu kämpfen hat, aber sie legt sich mit jedem an. Darum lebt sie so zurückgezogen und nimmt nur das Abendessen gemeinsam mit der Familie ein.«
    Â»Das sind traurige Abendessen! Ich wage es kaum zu atmen, wenn wir am Tisch sitzen.«
    Â»Wir bemühen uns alle, nicht ihren Zorn zu erregen, denn sie kann sehr verletzend werden. Nur ihr Mann weiß sie zu nehmen. Aber wechseln wir das Thema!«, bat Celina. Sie hatte ein Notenblatt in der Hand und sagte: »Schau nur, ich habe gerade ein Schlaflied von Mozart einstudiert. Ich glaube, ich werde wieder mehr am Klavier üben, denn wenn dein Kind zur Welt kommt, will ich ihm gute Musik vorspielen. Na, was sagst du dazu?«
    Léonie strich sich unbewusst über den Bauch und fand ihr Lächeln wieder.
    Â»Was für eine schöne Idee. Danke, maman Celina.«
    Â»Danke, dass du mir einen Enkel schenkst! Ich würde mich freuen, wenn darauf noch viele weitere folgen. Diese riesige Villa braucht Kinderlärm und Kinderlachen. Nach meinem Guido konnte ich keine Kinder mehr bekommen, was ich sehr bedaure.«
    Stille kehrte ein. Celina war
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