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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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unmerklich«, überlegte der Dottore laut. »Ich hole nur schnell meine Jacke und begleite Sie.«
    Sie verließen das Hotel und stiegen die Stufen zu dem kleinen Platz hinab, auf dem die Autos parkten.
    Â»Ich bin verheiratet und erwarte ein Kind. Ich bin im dritten Monat schwanger«, hörte sie sich plötzlich sagen.
    Â»Ist es das erste Kind?«, fragte er.
    Sie nickte.
    Â»Wie geht es Ihnen? Keine Probleme wie Morgenübelkeit …«
    Â»Es ist mir noch nie so gut gegangen, aber ich bin empfindlicher als sonst«, gestand sie.
    Sie hatten den Platz erreicht.
    Â»Passen Sie auf sich auf, und möge es Ihnen auch weiterhin gut gehen!«, sagte der Dottore und hielt ihr die Wagentür auf. Sie war schon dabei einzusteigen, als sie sich mit einem melancholischen Lächeln zu ihm umdrehte.
    Â»Danke für alles, Dottor Roger Bastiani«, sagte sie leise.
    Da nahm er Léonies Gesicht ohne Vorwarnung in beide Hände und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.
    Â»Frohe Weihnachten, Signora Léonie Tardivaux«, flüsterte er.
    Sie setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an. Er schloss die Wagentür, beugte sich dann vor und klopfte ans Fenster. Sie kurbelte es herunter, woraufhin er sagte: »Im nächsten Jahr werde ich zur Wintersonnenwende wieder hier sein … und auf dich warten.«

Villanova

1
    G uido war im Garten und diskutierte mit den Arbeitern, die gerade dabei waren, die Arkaden mit Lichterketten zu schmücken. Als er Léonies Wagen entdeckte, ging er ihr entgegen.
    Â»Was ist denn das für eine Geschichte mit der Reifenpanne?«, fragte er und bot an, ihr das Gepäck abzunehmen.
    Â»Es ist auf der Rückfahrt passiert. Es hat geregnet und war eiskalt. Hilf mir, die Pakete hineinzutragen«, sagte sie und drückte ihm eine in Papier eingeschlagene Schachtel voller Delikatessen in die Hand.
    Â»Hast du den Automobilclub angerufen?«, erkundigte er sich und ging vor ihr zur Haustür.
    Â»So etwas Ähnliches«, erwiderte sie, wobei sie nur noch das Paket mit dem Käse in der Hand hielt. »Ich bin rechts rangefahren und wollte mich von jemandem mitnehmen lassen. Schließlich hielt ein Wagen, und der Fahrer hat mir geholfen, den Reifen zu wechseln«, erklärte sie und nahm die Treppe hinunter zur Küche.
    Léonie liebte den großen Raum mit den schmalen Souterrainfenstern, die auf den Garten hinausgingen. Ihr gefielen die funkelnden Kupfertöpfe in den Regalen, die Arbeitsflächen, auf denen mit einer fast schon fanatischen Ordnungsliebe Messer in jeder Form und Größe, Wiegemesser, Schöpflöffel, Schneebesen, Mixer, Zangen und Vorlegegabeln aufgereiht waren, die große Abzugshaube über der riesigen, perfekt ausgestatteten Küchenzeile, bestehend aus Gas- und Elektroherd, Mikrowelle, Gefrierschrank, Trockenschrank … Es war Celina gewesen, die die Küche sowie die angrenzenden Räume vor über zehn Jahren hatte renovieren und mit Kühlungen für Fleisch, Käse und Wein versehen lassen. In der Küche arbeiteten ein Koch, ein Patissier und zwei Gehilfen, als ginge es darum, eine zwanzigköpfige Familie satt zu bekommen, dabei waren sie nur zu sechst: der Patriarch Amilcare Cantoni, seine Frau Bianca Crippa, der Sohn Renzo und seine Frau Celina Olgiati Tremonti und zu guter Letzt Guido und Léonie Tardivaux.
    Guido stellte die Lebensmittelschachtel auf einen Tisch, und Léonie legte das Päckchen mit dem Käse in den Kühlschrank. Sie hatte ein schlechtes Gewissen – nicht so sehr, weil ihr Retter sie geküsst hatte, sondern wegen der Begierde, die die flüchtige Berührung seiner Lippen in ihr geweckt hatte. Das gehörte sich nicht für eine verheiratete Frau, die noch dazu ein Kind erwartete.
    Während sie an den Kuss zurückdachte, kam sie zu dem Schluss, dass es sich lediglich um harmlose Träumereien handelte. Trotzdem fragte sie sich, warum sie sich nicht im selben Maß zu ihrem Mann hingezogen fühlte. Sie mochte Guido, aber er war immer so beherrscht, so distanziert, als lebte er in einer ganz eigenen Welt, zu der sie keinen Zutritt hatte.
    Sie wandte sich an ihren Mann, der ihr gegenüberstand, und bat ihn, ihr in die Augen zu sehen. »Warum habe ich immer das Gefühl, dass du ganz weit weg bist, so als wärst du in Gedanken ganz woanders?«
    Guido lächelte sie an und legte ihr die Hände auf die Schultern.
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