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Begrabene Hunde schlafen nicht

Begrabene Hunde schlafen nicht

Titel: Begrabene Hunde schlafen nicht
Autoren: Gunnar Staalesen
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ausstoßend, warf P. E. Jansson sie
hoch und kippte sie über den Rand des Balkons.
Sie griff Halt suchend ins Leere.
Eine Zehntelsekunde lang schien es, als hinge sie einfach dort
oben, von der Schwerkraft losgelöst.
Dann fiel sie wie ein Stein – aus dem fünften Stock.
Die beiden Polizisten versuchten, sie abzufangen. Ich selbst
lief über den Rasen und versuchte vergebens, rechtzeitig dort zu
sein.
Keiner von uns schaffte es.
Sie krümmte sich in der Luft wie ein Ball zusammen, als hätte
man sie in Embryostellung in die Luft geschossen, und traf mit
dem Rücken zuerst auf den Boden.
Wir hörten das Geräusch, als er brach. Es klang wie ein Peitschenknall, ein trockener Zweig, der durchbricht, ein Champagnerkorken, der in die Luft fliegt, bevor alle mit leeren Gläsern
herbeiströmen.
Ich erreichte sie. Die beiden Polizisten versuchten, mich abzuhalten, aber ich drängte mich an ihnen vorbei und ging neben ihr
auf die Knie.
»Marit!«
Sie öffnete die Augen und sah mich an, mit dem Glasblick
einer Schlafpuppe. »V-V-Varg? Bist d-d-du’s?«
Die Kratzspuren auf meiner Wange begannen wieder zu brennen. Die Tränen reizten sie.
Ich drehte mich um und blickte hoch.
Anne-Kristine Bergsjø stand direkt hinter mir.
Ich begegnete ihrem Blick. »Ruf einen Krankenwagen!«
»Schon geschehen.«
Hinter ihr stand Torleif Pedersen und starrte an der Wand
hoch, als erwarte er noch jemanden.
Ein neuer Nahkampf hatte dort oben stattgefunden, bei dem
diesmal P. E. Jansson der Verlierer war. Die beiden Wachtmeister hatten die Situation unter Kontrolle und führten ihn schon in
die Wohnung ab.
Ich richtete mich auf.
Anne-Kristine Bergsjø sagte: »Wir haben vieles zu bereden,
Veum.«
»Ja, leider. Viel zuviel.«
Ich sah auf Marit Johansen. Sie war sichtlich blasser geworden. Der Atem ging in kurzen, krampfhaften Zügen. Ihre Lider
zitterten, als versuchte sie vergeblich, sie zu öffnen.
Von weitem hörte ich Sirenen näher kommen. Die beiden
Polizisten führten P. E. Jansson aus dem Block. Seine Arme
waren auf den Rücken gedreht und mit Handschellen zusammengekettet.
Er blickte wütend um sich. Seine Augen wurden schmal, als
sein Blick mich streifte und er mich plötzlich wiedererkannte.
In gewisser Weise beruhte das auf Gegenseitigkeit. Jetzt erinnerte ich mich, woher ich ihn kannte, wo ich ihn zum allererstenmal gesehen hatte.
»Das Phantombild«, murmelte ich.
»Was sagst du?« frage Anne-Kristine Bergsjø scharf.
»Das Phantombild. Was sie rausgeschickt haben, aufgrund von
Zeugenaussagen, von dem Mann, der Olof Palme erschoß.«
»Wovon redest du, Veum?«
»Ich rede von … Fragt ihn doch, wenn ihr ihn verhört – fragt
ihn, wo er am Freitag, dem 28. Februar 1986 war, um 23.21
Uhr.«
Sie sah mich bestürzt an. »Ist das dein Ernst? Meinst du das
wirklich?«
Jansson wurde zu dem wartenden Einsatzwagen geführt. Der
Blick, den er uns zuwarf, bevor sie die Tür hinter ihm schlossen,
war voller Verachtung, so sichtbar giftsprühend, daß es fast auf
der Haut brannte.
Sie gab ein Zeichen, daß der Fahrer warten sollte.
Jetzt kam der Krankenwagen. Zwei Träger sprangen heraus,
öffneten die Hecktür und zogen eine Bahre heraus.
Sie kamen herübergelaufen.
Schnell hatten sie die Situation überschaut. Sie konstatierten,
daß ihr Rückgrat gebrochen war. Schnell und professionell hoben sie sie auf die Bahre, trugen sie zum Wagen und schoben
die Bahre wieder an ihren Platz. Einer kletterte neben sie. Der
andere setzte sich hinters Steuer.
Die Sirenen heulten auf, und der Krankenwagen war schon
wieder auf dem Weg in Richtung Stadt.
Die Menge der Schaulustigen blieb stehen, in aufgeregten
Kleingruppen, noch erschüttert von dem, was sie gesehen hatten.
Torleif Pedersen sagte: »Fahren wir?«
Anne-Kristine Bergsjø nickte. Sie sah mich an. »Kommst du
mit?«
»Kann ich … Ich muß noch etwas regeln – mit dem Taxifahrer
da drüben. Mich etwas sammeln. Ist jemand bei Merete Hauger?«
Sie nickte. »Sollten wir sie auch verhaften?«
»Sie hat jedenfalls viel zu erklären. Aber wie du weißt, ist ihr
Mann …«
Anne-Kristine Bergsjø nickte. »Wir werden behutsam vorgehen.«
»Fahrt ihr nur schon vor. Ich komme nach. Das Ganze ist
vorbei – jetzt«, ich nickte zum Einsatzwagen, »wo der da gefaßt
ist.«
»Wir wollen’s hoffen«, sagte Anne-Kristine Bergsjø und warf
mir einen Blick zu, der besagte, daß ich nicht versuchen sollte,
ihr irgend etwas zu verheimlichen, sie würde doch alles
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