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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer
Autoren: Marie Christen
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den Heiligen Vater ist ohne Tadel. Betrachtet es als Auszeichnung. Wenn Ihr diesen Auftrag zu seiner Zufriedenheit ausführt, werdet Ihr sicher nicht unter die namenlosen Brüder in die Schreibstube Seiner Heiligkeit zurückkehren.«
    Im Kloster hatte Simon von Andrieu gelernt, wann er schweigen musste, auch wenn alles in ihm danach drängte, zu protestieren. Er würde weder Seiner Heiligkeit noch dem Kardinal begreiflich machen können, dass er nicht den Aufstieg in der heiligen Mutter Kirche anstrebte, sondern Frieden für die eigene Seele suchte. Absolution für Hochmut und Mord. Bei dieser Mission würde er weder das eine noch das andere finden. Tatsache war, die Kurie benötigte dringend Geld. Fernab von Rom war man in erster Linie auf die Einkünfte aus kirchlichen Pfründen in Frankreich angewiesen und Darlehen, wie sie beispielsweise der Orden der Templer großzügig gewährt hatte. König Philipp hatte mit seinem überraschenden Vorgehen gegen die Tempelritter diese Quelle zum Versiegen gebracht und die Reichtümer des Ordens kurzerhand im Namen der Krone beschlagnahmt. Es war nicht abzusehen, ob und wann er sich bereit fand, die Güter zurückzugeben, die Clemens V. im Namen der Kirche von ihm forderte.
    Offiziell prüfte augenblicklich eine päpstliche Kommission die Vorwürfe gegen den Orden als Ganzes und eine bischöfliche Kommission jene gegen die einzelnen Tempelritter, aber bis zum Abschluss dieser Untersuchungen blieben die Templer im Verlies. Ihr Vermögen stand unter königlicher Verwaltung, was schlicht bedeutete, dass Seine Majestät sich munter davon bediente. Dass die Kirche dies im umgekehrten Fall ebenfalls getan hätte, änderte nichts daran, dass Papst und Kardinäle voller Empörung und Selbstgerechtigkeit von Diebstahl sprachen.
    Bruder Simon schmeckten weder sein Auftrag noch die Schlüsse, die sich ihm aufdrängten. Es ging nicht um Glauben, sondern allein um Macht und Geld. Willst du dich für solche Winkelzüge hergeben?, fragte er sich entsetzt. Allein, blieb ihm eine Wahl? Er hatte Gott als Buße für seine Sünden Gehorsam und Demut geschworen. Seine Heiligkeit war der Vertreter Gottes auf Erden.
    Gehorche! Das war genau jene Ordensregel, die ihm am häufigsten Schwierigkeiten bereitete. Es bereitete ihm weder Probleme zu schweigen noch zu fasten, zu beten oder seinen Körper zu kasteien. Aber seit er zum Haushalt des Heiligen Vaters gehörte, fiel es ihm von Tag zu Tag schwerer zu gehorchen. Bei allem Respekt für seinen Oberhirten blieb ihm nicht verborgen, dass Clemens V. dem französischen König nicht mit jenem Nachdruck begegnete, den Zeit und Situation erfordert hätten. Die Templer, die in ihren Kerkern bislang vergeblich darauf warteten, dass er sich energischer für sie einsetzte, waren der traurige Beweis dafür. Würden die Beginen das nächste Opfer werden, weil der Heilige Vater wenigstens auf ihrem Rücken geistliche Macht demonstrieren wollte?
     
     
     
    I M A UFTRAG DER M AGISTRA
    Brügge am 28. Oktober 1309
     
    »Ysée? Ysée, wo steckst du?«
    Die Backsteinmauer sah kalt und schmutzig aus, dennoch presste Ysée die Stirn mit aller Macht dagegen. Die Berührung hinterließ Spuren auf dem hellen Leinen der Haube und ihrer Haut. Sie verschwendete keinen Gedanken daran. Kälte, Schmutz und Härte zeigten ihr, dass sie lebendig war. Sie konnte atmen, spüren, zittern und, wenn sie wollte, sogar zornig mit den Fäusten gegen die rote Wand schlagen.
    Die Mauer musste es stumm dulden. Sie sagte weder »bezähme deine Launen« noch »sei gehorsam« oder »tu deine Arbeit«, »lass die törichten Gedanken«, »geh fort«. Solche Belehrungen kamen nur von dummen Gänsen wie Schwester Josepha oder Eigennützigen wie ihrer Mutter oder von Herzlosen wie der zweiten Meisterin Alaina. Sie alle behandelten Ysée wie einen nützlichen Gegenstand. Wie ein Ding, das zu tun hatte, was sie ihm sagten, und dem sie keine Gefühle erlaubten. Der kühle Gegendruck milderte nach und nach den Schmerz hinter Ysées Schläfen. Langsam drang der Morgen in ihr Bewusstsein. Der Tag begann feucht und windig. Stürmische Böen fuhren durch die Baumwipfel am Reieufer und rauschten in die Stille des Beginenhofes vom Weingarten hinein. Nun, da das Hämmern ihres Herzens nachließ, drangen die Geräusche vom Kai des nahen Minnewater-Hafens in ihr Bewusstsein. Das Quietschen der großen, hölzernen Kräne, die schwere Lasten von den Schiffen hoben, die dort ankerten. Das Poltern der Fässer und
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