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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer
Autoren: Marie Christen
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den silbernen Becher, den Violante ihm soeben voll Wein gegossen hatte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie nicht das übliche Wollgewand trug, sondern eine der Seidenroben, die er ihr im Herbst aus Chalon mitgebracht hatte. Im hellen Grün des Stoffes schimmerten feine Silberfäden, und ein Gürtel aus miteinander verflochtenen Perlensträngen lag um ihre schmale Taille. Sie war schöner denn je.
    Hastig trank er den Wein und mischte sich in die Debatte seiner Männer ein, die mit ihm an der großen Tafel saßen. Der Wortwechsel um Politik und Kirche wurde so heftig, dass er nicht einmal bemerkte, dass Violante sich, ohne ihm eine gute Nacht zu wünschen, zurückgezogen hatte. Sie schlief mit dem Kind im großen Gemach des Burgherrn, während sich Mathieu sein Lager in der schmucklosen Kammer gerichtet hatte, die er als Knabe zusammen mit Simon bewohnt hatte. Es verlockte ihn nicht, dort hinaufzugehen, und so kam es häufig vor, dass er bis spät in den Abend hinein in der Halle sitzen blieb. Heute jedoch störte Eudora ihn in seiner Runde.
    »Die Herrin wünscht Euch zu sprechen, Seigneur«, sagte sie leise.
    »Jetzt noch?«
    Er fragte sich, was Violante um diese Abendstunde von ihm wollte. Normalerweise kam sie in sein Arbeitskabinett, wenn sie etwas mit ihm zu besprechen hatte, das die neugierigen Ohren in der großen Halle von Andrieu nichts anging. Er betrat das Gemach seit Simons Geburt zum ersten Mal, und die heimelige Atmosphäre traf ihn völlig unvorbereitet. Goldenes Kerzenlicht, ein flackerndes Kaminfeuer und der Duft nach Rosenöl bestürmten seine Sinne.
     
     
    Violante stand am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Als sie sich umwandte und näher kam, bemerkte er, dass sie ein feines Hemd aus durchsichtigem Schleierstoff trug. Suchend sah er sich um. »Wo ist das Kind?«
    »Er schläft bei seiner Amme.«
    Mathieu sah, wie sie errötete. Erst jetzt erfasste er die Situation. Er hatte längst die Hoffnung verloren, Violante könnte den Weg in seine Arme finden.
    »Dies ist das Gemach des Burgherrn und seiner Gemahlin, Mathieu«, sagte sie leise. »Meinst du nicht, dass es an der Zeit ist, dass auch du hier schläfst?«
    Weshalb tat sie diesen Schritt? Ahnte sie, wie sehr er sich nach ihr sehnte und wie schwer ihm die zwei Jahre der freiwilligen Distanz gefallen waren?
    Violante beendete seine Unsicherheit, indem sie sich auf die Zehenspitzen reckte und ihre Lippen auf die seinen legte. Sanft, aber unmissverständlich.
    »Du hast mir die Freiheit eigener Entscheidungen geschenkt, Mathieu. Du bist unserem Sohn ein wunderbarer Vater und diesem Lehen ein gerechter und starker Herr. Nur ich war dir keine Gemahlin. Verzeih mir und lass uns in Zukunft wirklich Mann und Frau sein.«
    »Aber… du liebst Simon…«
    Mathieu schalt sich einen Narren. Wie konnte er ablehnen, was er sich in Wirklichkeit so verzweifelt wünschte? Was war mit ihm los?
    »Diese Liebe wird immer in meinem Herzen sein, aber mir ist klar geworden, dass es nicht nur eine Liebe in meinem Leben gibt.«
    Mathieu umfasste vorsichtig ihre Schultern, noch immer gewärtig, dass sie ihm Einhalt gebot. Unter dem seidigen Stoff spürte er ihre warme Haut, und er gebot der warnenden Stimme in seinem Kopf zu schweigen. Ungestüm zog er sie an sich. »Wirst du mir wirklich erlauben, dich zu lieben?«
    »Finde es heraus.«
    Ihr strahlendes Lächeln erstickte alle seine Zweifel. Was immer außerhalb dieser Mauern und dieses Lehens geschah, in dieser Nacht zählte es nicht.

Anmerkung
     
     
     
    B EGINEN
     
    Das Konzil von Vienne verurteilte die beginische Lebensform. Das Konzilsdekret »ad nostrum« bildet die Grundlage für die Beginenverfolgungen des 14. Jahrhunderts. Zwar wurden die Beschlüsse erst 1317 rechtswirksam, und ein großer Teil der frommen Frauen fand Aufnahme in Klöstern, aber mit jenen, die hartnäckig an ihrer Lebensweise festhielten, wurde in den folgenden Jahren – abhängig von der Haltung ihrer Landesund Kirchenfürsten – kurzer Prozess gemacht. Sie wurden in großem Stil verfolgt, exkommuniziert und verbrannt. So kamen z. B. allein in Erfurt zwischen 1367 und 1369 zweihundert Beginen auf dem Scheiterhaufen um.
    Die wenigen verbliebenen Beginenhäuser und -höfe verschwanden endgültig während der französischen Religionskriege und im Zuge der Reformation, nur in Holland und Belgien blieben vereinzelte Gemeinschaften bis in unsere Zeit erhalten. Erst seit den letzten Jahrzehnten findet die Idee der Beginen neue Anhänger.
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