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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer
Autoren: Marie Christen
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Heilige Vater sein, aber er ist in erster Linie Franzose. Wenn Ihr einen Beweis dafür wollt, dann betrachtet die schöne Brunissende von Périgord. Glaubt Ihr, Rom würde die Französin tolerieren, nur weil sie die Mätresse des Papstes ist?«
    Bruder Simon beschleunigte seinen Schritt. Er wollte keine Silbe dieses bösartigen Getuschels glauben. Der Himmel würde die Lästermäuler für ihre Respektlosigkeit strafen. Dennoch fiel es ihm in Avignon schwerer als in Fontenay, der göttlichen Gerechtigkeit das Handeln zu überlassen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte auch er gehandelt und nicht gebetet. Er hatte getötet! Eine schreckliche Erinnerung und die langen Jahre der Reue und Buße schenkten keinem Toten, den er auf dem Gewissen hatte, das Leben zurück. »Da seid Ihr ja.«
    Kardinal Arnaud von Pellegrue, Erzdiakon der Diözese Chartres und Neffe Seiner Heiligkeit, trat Bruder Simon in den Weg. Er winkte ihn zum Ärger der Wartenden aus der Menge im Vorzimmer des Papstes und gab ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung zu verstehen, dass er keine weitere Zeit verlieren solle.
    »Tretet ein, der Heilige Vater bedarf Eurer Dienste.« Seine Heiligkeit Papst Clemens V. thronte im prächtig möblierten Studienzimmer des Abtes in einem Stuhl mit hoher geschnitzter Lehne, auf Lagen von Kissen. Das Ebenholzkreuz an der Stirnwand des Raumes stellte zwischen Wandbehängen, Schauschränken und Kunstgegenständen die einzige Mahnung zu Buße und Einkehr dar. Bruder Simon trat vor, strich die Kapuze vom Kopf und sank barhäuptig auf ein Knie, ehe er den Rubinring an der ausgestreckten Hand des Heiligen Vaters küsste.
    Er blickte auf den Goldsaum des päpstlichen Ornates und verharrte mit gesenktem Haupt. Geduldig wartete er darauf, dass Seine Heiligkeit das Wort an ihn richtete. Mit der ganzen Kraft seines Willens versuchte er seinen Geist zum Schweigen zu zwingen, der sich von Äußerlichkeiten viel zu leicht zu Kritik verleiten ließ. Die Prachtentfaltung um ihn herum mochte weltlich und übersteigert sein, aber der Mann, der diese Art von Luxus liebte, war der Stellvertreter Gottes auf Erden. Er schuldete ihm Demut und Ergebenheit:
    »Steht auf, mein Sohn«, brach der Papst das Schweigen. »Ich sehe dem Menschen gerne ins Gesicht, wenn ich mit ihm rede.« Bruder Simon folgte der Anweisung. Er begegnete seinem Oberhirten zum ersten Male von Auge zu Auge. Seine Berufung in den Haushalt des Heiligen Vaters war über den Erzdiakon erfolgt, und bislang hatte er seine Befehle nur von ihm erhalten. Aus unmittelbarer Nähe betrachtet, blieben Person und Würde des Amtes jede Ausstrahlung schuldig. Die zeremoniellen Gewänder bedeckten einen Mann, dessen Gestalt längst aus den Fugen geraten war und der die Blüte seiner Jahre überschritten hatte. Wohl genährt, kurzatmig und mit hängenden Schultern, verbreitete er eher gereizte Ungeduld denn fromme Güte.
    Bruder Simon erschrak augenblicklich über seine Betrachtungen. Woher nahm er das Recht, den Heiligen Vater mit solch kleinlichen Maßstäben zu messen? Er hatte Gehorsam und Hingabe geschworen, als er den Ritterstand aufgab und das Kloster wählte. Wo blieb sein guter Wille? Sein ehrliches Bemühen, jeden Hochmut für immer fahren zu lassen und nur noch zu dienen?
    Papst Clemens V. hingegen blickte in das Antlitz eines jungen Mannes von sechsundzwanzig Jahren. Das Gesicht eines Erzengels, hager, von Askese gezeichnet, in dem Augen von so dunklem Blau standen, dass sie auf den ersten Blick schwarz erschienen. Die Brauen und das Haar, bis auf die Tonsur, waren tatsächlich schwarz. Düstere Bartschatten lagen auf Wangen und Kinn. Ein Büßer. Seine Heiligkeit kannte die Zeichen leidenschaftlicher Frömmigkeit und wusste sie für seine Zwecke zu nutzen.
    Pellegrue hatte Recht gehabt. Dies war der richtige Mann. Tief gläubig, gehorsam und unbekannt genug, um nicht auf Anhieb mit den Plänen des Heiligen Stuhles in Verbindung gebracht zu werden. Auf seinen Neffen konnte er sich verlassen. »Man hat Euch für eine Mission von höchster Verschwiegenheit empfohlen, mein Sohn«, brach der Papst nun die Stille. Er legte die molligen, weißen Hände mit den Fingerspitzen gegeneinander und machte eine bedeutungsvolle Pause. Bruder Simon versagte sich die Frage, die so erkennbar provoziert wurde. Der Heilige Vater gab einen undefinierbaren Laut von sich, der ebenso Anerkennung wie Überdruss bedeuten konnte. Er verzichtete auf weitere Schmeicheleien und kam sogleich zum Kern der
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