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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer
Autoren: Marie Christen
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nötige Wissen vermittelt dir eine ältere Schwester, deren Helferin und Schülerin du ab heute bist. Wenn sie mit dir zufrieden ist, wird sie im Rat der Schwestern für dich sprechen und deine Aufnahme empfehlen. Bis dahin musst du lernen, dich zu zügeln und deine Zunge besser zu hüten.«
    Nie wieder Wolle waschen, spinnen, walken oder spannen! Ohne dass es ihr bewusst wurde, breitete sich ein solches Strahlen auf Ysées Gesicht aus, dass die Magistra mit einem Seufzer den Kopf schüttelte. Wahrhaftig, es fiel schwer, dem besonderen Liebreiz dieses Kindes zu widerstehen. Aber sie war nicht umsonst seit mehr als einem Jahrzehnt die oberste Dame der Beginengemeinde. Sie verstand es, persönliche Gefühle zu verbergen. Ganz besonders vor einem Mädchen, dessen Schicksal sie so sehr berührte.
    »Wie soll ich Euch nur danken, ehrwürdige Mutter?«, murmelte Ysée schließlich befangen. Ob die Meisterin ahnte, wie sehr sie sich danach sehnte, anerkannt und geachtet zu werden? Geschätzt und geliebt? »Ach Kind…«
    Die Kranke hustete, und Ysée reichte ihr den bereitstehenden Becher mit Honigwasser. Sie musste sie beim Trinken stützen, denn die Maestra war mittlerweile so schwach, dass sie für jede körperliche Bewegung Hilfe benötigte. Ysée wusste, dass sich die Gebete der Beginen für ihre Gesundheit bereits mit dem Getuschel über ihre mögliche Nachfolgerin abwechselten. »Ihr dürft Euch nicht anstrengen«, riet sie ihr besorgt und glättete die Decke des Bettes, obwohl keine Falten zu sehen waren. »Ich weiß, dass ich noch viel zu lernen habe. Auch, dass es mir beklagenswert an Selbstbeherrschung fehlt, aber ich werde mich bessern. Ich verspreche es Euch.«
    Die Magistra lächelte über so viel Eifer. Sie griff nach Ysées Hand. »Ich weiß, dass du ein gutes Herz hast und dass du mich nicht enttäuschen wirst. Ich muss dir dennoch sagen, dass…« Ein leises Kratzen an der Tür unterbrach sie, und Alaina trat nach der Aufforderung der obersten Begine ein. Sie neigte gemessen den Kopf mit der großen, weißen Leinenhaube der Beginen, die nicht nur den Scheitel bedeckte, sondern auch die Schultern. Ysée hatte ihre Haare nicht unter der Faille versteckt, wie man die kompliziert plissierte Haube wegen ihrer vielen Falten nannte, sondern unter einem einfachen Kopftuch, wie es den Mägden zustand. Sie sehnte sich seit Jahren danach, diesen einzigen und elegantesten Schmuck der Beginen zu tragen – hatte sie nun das Recht dazu?
    »Am Tor ist eine Magd aus dem Hause Cornelis«, begründete Alaina währenddessen die unwillkommene Unterbrechung. »Die Gemahlin des Tuchhändlers hat vor der Zeit eine Totgeburt gehabt. Man fürchtet, dass sie die kommende Nacht nicht überleben wird. Sie schickt nach Euch, ehrwürdige Mutter, und wünscht in ihrer schweren Stunde den Trost der Beginen.« Die Meisterin bekreuzigte sich erschrocken. »Arme Mareike. Es war ihr so sehr daran gelegen, Meister Cornelis endlich den ersehnten Erben zu schenken.«
    »Wer soll an Eurer Stelle zu Mareike Cornelis gehen, ehrwürdige Mutter?«
    Die oberste Dame der Beginen seufzte bedrückt. »Wie gerne würde ich meiner Nichte auf diesem letzten Weg beistehen. Bitte vertretet mich bei ihr, Schwester Alaina. Nehmt Ysée mit. Je eher sie ihre Ausbildung an Eurer Seite beginnt, umso besser ist es. Es kommt mir vor, als gäbe uns der Himmel ein Zeichen.« Ysées Augen weiteten sich vor Schreck. Ein erstickter Laut drang aus ihrer Kehle. Mit jeder anderen Schwester, stand in ihrem Gesicht, nur nicht mit Alaina!
    »Hast du mir nicht eben versprochen, dich zu bessern? Sei gehorsam, Ysée.« Die Magistra rügte ihren wortlosen Widerspruch. »Du wirst künftig Alainas Gehilfin und Schülerin sein. Ich erwarte, dass du dir Mühe gibst und ihr in allen Dingen folgst.«
    Die hinfällige Gestalt im Alkoven verschwamm vor Ysées Augen. In ihrer ersten Freude hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, wer ihre Lehrerin sein würde. Unter den kühl beobachtenden Augen Schwester Alainas erlosch ihre Freude jedoch wie eine Kerze im Zugwind. Sie hatte die zweite Meisterin noch nie zufrieden stellen können. Warum, dachte sie, warum ausgerechnet Alaina?
    Alaina verbarg ihre Genugtuung hinter einer ausdruckslosen Miene. Die Meisterin sandte ein stummes Gebet zum Himmel. Sie wusste, was sie tat. Es war an der Zeit, dass Ysée sich zu behaupten lernte, und wenn sie all jene Fähigkeiten besaß, die sie in ihr vermutete, dann würde es ihr auch gelingen.
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