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Begegnungen (Das Kleeblatt)

Begegnungen (Das Kleeblatt)

Titel: Begegnungen (Das Kleeblatt)
Autoren: Hansi Hartwig
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ihr, sondern zu jedem einzelnen seiner Worte zu stehen?
    Alles ein Irrtum?
    Er hatte sie nie belogen, denn wann immer er etwas nicht erzählen wollte, hatte er sich kurzerhand in stures Schweigen versenkt. Aber er hatte sie nie angelogen.
    Er wankte an ihr vorbei in die Küche, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Entgegen seiner Gewohnheit hing seine Kleidung unordentlich an ihm. Susanne konnte sich nicht erinnern, dass er früher das Haus verlassen hätte, wenn lediglich ein winziger Schmutzfleck auf seinem Hemd gewesen wäre. Heute dagegen schien es ihm nichts auszumachen, dass ein Knopf in Brusthöhe fehlte, er sich bei den darunterliegenden verknöpft und die oberen erst gar nicht geschlossen hatte. Er hatte nicht einmal den Gürtel seiner Hose festgezogen!
    Die Alkoholfahne, die er vor sich her trug, drehte ihr den Magen um und angewidert verzog sie das Gesicht. Sie starrte auf seinen Rücken, der noch immer beeindruckend muskulös war, auch wenn seine Schultern jetzt kraftlos nach unten hingen. Er keuchte wie nach einem Marathonlauf und schwankte bedrohlich. Als er sich bückte, um eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu zerren, musste er sich am Tisch festhalten, um nicht zu fallen.
    „ Ich gehe … schlafen“, murmelte er, ohne Susanne in die Augen zu sehen. Er wusste auch so, was ihn erwartet hätte.
    Die Flasche wie ein Wickelkind im Arm haltend verschwand er , während sie den schwerfälligen Schritten lauschte, mit denen er durch das Wohnzimmer schlurfte. Das Glas der Wasserflasche klirrte, als er über eine Stufe stolperte und auf der Treppe aufschlug. Susannes Hand schoss an den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Sie musste sich zwingen, ihm nicht hinterherzulaufen und ihm ihre Hilfe anzubieten.
    Diese Mühe konnte sie sich wirklich sparen, dachte sie verbittert und ließ sich matt auf den Hocker am Küchentisch sinken. Er brauchte ihr Mitleid nicht, hatte er sie erst vor zwei Tagen angebrüllt und war mit erhobenen Fäusten auf sie losgegangen.
    Nein, natürlich hatte er sie nicht geschlagen. Gerade rechtzeitig hatte er sich besonnen und seine Emotionen unter Kontrolle gebracht. Der Schreck über diesen Wutanfall allerdings saß nach wie vor tief.
    Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und ließ schließlich ihren Tränen freien Lauf. Adrian würde sie sowieso nicht hören.
    Und wenn schon! Sie war ihm doch längst egal. Er interessierte sich nicht mehr für sie.
    Es musste bald etwas geschehen, das sie beide retten würde.

2. Kapitel
     
    Seufzend nahm Susanne noch einen Schluck Tee und machte sich über den letzten Stapel Berichtigungsblätter für die Handbücher her, die sich auf ihrem Schreibtisch türmten. Es war eine todlangweilige Arbeit, die ihr der Schichtleiter der Nachrichtenzentrale für heute zugedacht hatte, und normalerweise wirkte das Austauschen der Blätter besser als jede Schlaftablette.
    Auf Susanne jedoch hatte es an diesem Tag eine ganz und gar gegenteilige Wirkung. Verzweifelt kämpfte sie darum, ihre Ruhelosigkeit und Nervosität vor den Kollegen zu verbergen. Immer wieder entschuldigte sie sich wegen ihrer Unaufmerksamkeit und reagierte zunehmend gereizt auf die hartnäckigen Versuche der Männer, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Irgendwann war ihr dieses Benehmen derart peinlich, dass sie vor Scham gar nichts mehr sagte.
    Sie stöhnte verhalten und rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Wunderte sie sich etwa über ihren angeschlagenen Zustand angesichts der paar Stunden Schlaf, die sie in der Nacht gefunden hatte? Als sie am Abend bloß wenige Minuten nach ihrem Mann in die obere Etage der Wohnung gestiegen und zu Bett gegangen war, hatte er bereits leise schnarchend geschlafen. Und dabei hatte sie mit Adrian reden wollen.
    Sie musste endlich mit ihm reden!
    Allerdings wiederholte sich das gestrige Trauerspiel in dieser oder ähnlicher Weise schon seit Wochen. Nie bot sich die Gelegenheit für eine längere Unterhaltung. Verließ sie morgens das Haus, schlief Adrian noch, und wenn er spätabends von der Arbeit zurückkam, ließ er sich beim Zeitungslesen nur ungern stören. Oftmals ging er jedoch gleich schlafen, weil er so wie gestern zu nichts anderem mehr in der Lage war. Hatte er nach ein, zwei Stunden seinen Rausch ausgeschlafen, wurde er von quälenden Albträumen geweckt.
    Ein einziges Mal hatte sie es gewagt , ihn darauf anzusprechen und sich nach den fremden Namen erkundigt, die er im Traum schrie, und nach den Wortfetzen, die sie nicht
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