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Begegnungen (Das Kleeblatt)

Begegnungen (Das Kleeblatt)

Titel: Begegnungen (Das Kleeblatt)
Autoren: Hansi Hartwig
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schmalen Fingern. „Die Brötchen sind frisch“, ergänzte sie und kam sich bei diesem peinlichen Versuch, die Aufmerksamkeit ihres Mannes zu erlangen, unheimlich dämlich vor.
    Er sah müde aus, erschöpft. Die schwarze Kleidung, die er von jeher bevorzugte, betonte auf unvorteilhafte Weise seine fahle Gesichtsfarbe und die hohlen Wangen. Seine einst klaren, braunen Augen lagen tief in den Höhlen und wirkten verschwommen. Susanne hätte blind und taub sein müssen, um nicht zu bemerken, dass er seit Wochen nie länger als drei oder vier Stunden jede Nacht schlief. Und das nicht allein aus dem Grund, weil er weniger Schlaf als ein normaler Mensch benötigte.
    „ Will nichts.“
    Mit einem trotzige n Grinsen schaffte er es beim zweiten Anlauf, seinen Mantel an den Garderobenhaken zu hängen, wobei sein Lächeln an das eines Teenagers erinnerte, der sich gegen ein Verbot seiner Eltern aufgelehnt hatte und jetzt ungemein stolz darauf war.
    Gütiger Himmel , diese ewige Fragerei, ihre nicht nachlassende, zur Schau getragene Unbeschwertheit! Wie ihn das alles nervte! Sie schien es einfach nicht wahrhaben zu wollen, welch gewaltigen Fehlgriff sie mit ihm getan hatte. Musste er noch deutlicher werden? Sie war doch sonst nicht so begriffsstutzig.
    „ Erzähl, wie war dein Tag? Hat euer Chef endlich mit dem …“
    Er verdrehte die glasigen Augen und stieß die Luft hörbar aus. Seine Backenknochen mahlten deutlich sichtbar und Sus anne erschrak bei diesem Bild absoluter Gereiztheit. Instinktiv zog sie den Kopf ein und senkte den Blick.
    „ Susanne, bitte!“ Unüberhörbar klang der Vorwurf aus den Worten, die er ihr gnädig wie einen bloß zur Hälfte abgenagten Knochen hinwarf.
    Es waren jeden Abend die selben Fragen und immer wieder dieselben Antworten, die nach einem flüchtigen Kuss zwischen ihnen hin und her gingen. Als wären wir ein altes Ehepaar, schoss es der jungen Frau frustriert durch den Kopf. Abgesehen von dem gravierenden Unterschied, dass wir uns schon nichts mehr zu sagen haben, ehe wir überhaupt die Gelegenheit hatten, uns ein Ehepaar zu nennen. Inzwischen war sie überzeugt, dass er nicht einmal mehr im Traum daran dachte, sie zu heiraten. Seit Wochen hatten sie keine vernünftige Unterhaltung miteinander geführt. Und über das leidige Thema Heirat zu reden, hätte Susanne bloß gewagt, wenn sie ohnehin selbstmörderische Absichten gehegt hätte.
    Adrian war nie ein Freund großer Worte gewesen. Selbstverständlich wusste sie das! Gleich bei ihrer ersten Begegnung, als sie sich vor anderthalb Jahren an Bord des Massengutfrachters „Fritz Stoltz“ kennenlernten, war ihr das aufgefallen. Irgendwann hatte sie seine Einsilbigkeit sogar akzeptiert, obwohl diese Wesensart in krassem Gegensatz zu ihrem eigenen Bedürfnis sich mitzuteilen stand. Nichtsdestotrotz hatten sie sich verstanden. Denn Adrian besaß die seltene Gabe, ihr alles, was er nicht mit Worten auszudrücken vermochte, durch seine lebendigen Augen zu erzählen. Sie redeten auf faszinierende Weise mit ihr und sagten oft mehr als sämtliche gesprochenen Worte.
    Jetzt allerdings war etwas passiert, das nicht bloß Adrians Mund zum Schweigen gebracht hatte. Seine Augen waren verstummt. Und das machte Susanne wirklich Angst. Sie konnte ihn nicht mehr verstehen.
    Si e wusste nicht viel von dem Mann an ihrer Seite. Aber ungeachtet seiner Bemühungen, sämtliche Gefühle vor seinen Mitmenschen zu verbergen, hatte sie die Empfindsamkeit und Verletzlichkeit in ihm gesehen. Adrian quälte mehr als lediglich die Angst vor der irgendwann fälligen Entscheidung über ihre gemeinsame Zukunft. Ihr Eindruck von einer beständigen, unterschwelligen Traurigkeit in seinem Inneren hatte sich während der letzten Wochen noch vertieft.
    Und deswegen würde sie jetzt endlich mit seinem Arzt reden! Sie musste es riskieren selbst auf die Gefahr hin, dass Adrian dann endgültig die Beherrschung verlor. Lieber wollte sie einen weiteren handfesten Streit mit ihrem Mann in Kauf nehmen, als ihn kampflos aufzugeben und für immer zu verlieren.
    Oder hatte sie ihn längst verloren? Hatte sie ihn nie besessen? War denn alles nichts als ein Irrtum gewesen? Das euphorische Herzklopfen bei ihrem Wiedersehen auf dem Kühlschiff „Heinrich“ ein Jahr nach dem Untergang der „Fritz Stoltz“ – ein Irrtum ebenso wie seine zärtlichen Worte, mit denen er ihr versichert hatte, er würde sie brauchen? Sein fester Händedruck, mit dem er ihr geschworen hatte, nicht nur hinter
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