Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
schrie, man solle ihn ansehen und auch anfassen, er sei wirklich ein Mensch, er sei geboren, erwachsen und geschlechtsreif. »Wir können keinem trauen, der keinerlei Papiere hat.«
    »Die sind in Rußland!« schrie Wolter. »Er ist geflüchtet!«
    »Dann hätte er mit Papieren flüchten sollen.«
    »Man hat sie ihm abgenommen!«
    Das sind Grenzfälle, die kein subalterner Beamter entscheiden kann. In den Ehegesetzen steht, daß nur heiraten darf, wer großjährig oder für großjährig erklärt ist, wer seine Identität nachweisen kann, kurzum: Wer beweisen kann, daß er wirklich er ist.
    Wolter rannte herum, fluchte wie ein Muschik, dessen Kuh eine Euterentzündung hat, rief Bonn an und bat durch Wolfgang um Unterstützung der vorgesetzten Behörden. Aber auch das war keine Lösung des Problems; selbst das Wohlwollen von Generälen und Ministerialräten kann nicht überdecken, daß hier ein Mensch heiraten will, der keine Papiere besitzt.
    »Er nennt sich Sotowskij«, sagte ein Beamter bedauernd. »Ebensogut kann er Malinowskij heißen und bereits in Rußland verheiratet sein. Wissen wir es?«
    »Er ist Sotowskij! Ich kenne doch meinen Stiefsohn! So wahr ich Kolka Iwanowitsch Kabanow bin.«
    »Da haben wir es ja«, sagte der Beamte fast traurig. »Sie sind doch Karl Wolter. Bringen Sie bitte keine Verwirrung in die Dinge. Besorgen Sie die Papiere, und alles ist gut.«
    Wolter seufzte tief, bedauerte, nicht in Tiflis zu sein, wo man in solchen Fällen fluchen durfte, und ging. Und dann tat er etwas, von dem ihm jeder abgeraten hätte, wenn er darüber mit anderen gesprochen hätte. Er fuhr nach Bonn und ließ bei der sowjetischen Botschaft in Rolandseck anfragen, ob man ihn empfangen könne.
    »Um Himmels willen!« schrie Wolfgang Wolter, als er durch das Telefon von seiner Mutter erfuhr, was Wolter plante. »Sie halten ihn dort fest! Für die Russen ist er doch ein flüchtiger Genosse! Und keine Macht der Welt kann verhindern, daß sie ihn zurück nach Rußland bringen und dort aburteilen!«
    Aber es war bereits zu spät, um etwas zu unternehmen.
    Karl Wolter war schon im Gebäude der sowjetischen Botschaft, bevor Wolfgang in ohnmächtiger Verzweiflung unten am Rhein stand und hinaufstarrte zu der weißen, pompösen Villa aus der Gründerzeit.
    Der Besucher brauchte nicht lange zu warten. Man war begierig, den Mann zu sehen, dem es gelungen war, mit einem Fischerkahn über das Kaspische Meer Rußland zu verlassen. Man behandelte ihn höflich, ja wie einen Freund, bot ihm eine Papirossa an und servierte ihm einen grusinischen Kognak.
    Und dann saß er einem Mann gegenüber, der ihn mit schiefgestelltem Kopf betrachtete und auf russisch sagte:
    »Sie haben uns schwere Köpfe gemacht, Kolka Iwanowitsch. Und daß Sie jetzt so keck hier in der Botschaft sitzen, hat doch einen Grund, nicht wahr? Bedenken Sie, daß wir uns nur bis zu einer gewissen Grenze provozieren lassen.«
    Karl Wolter – oder sollen wir ihn jetzt wieder in dieser Umgebung Kolka Iwanowitsch nennen? – beugte sich etwas vor. Merkwürdig war es ihm ums Herz, als er wieder russisch sprechen konnte und irgendwie, er spürte es fast auf der Zunge, lag um sein Herz der Duft der Gärten von Tiflis.
    »Ich will nicht provozieren«, sagte er langsam und mit Bedacht. »Ich bin gekommen, um zu bitten.«
    »Und der Oberleutnant, der unten am Rhein vor unserer Auffahrt hin und her geht? Ihr Sohn, Kolka Iwanowitsch?«
    Kolka hob die Schultern und lächelte mild. »Ich weiß nicht, daß er unten auf mich wartet. Aber wenn er es tut … er ist ein guter Sohn, Genosse. Ich bin ein glücklicher Mensch, wer hätte das gedacht?«
    »Ein Verräter sind Sie!« schrie der Mann hinter dem Schreibtisch, der – wie sich später herausstellte – Pjotr Nikiforowitsch Lepka hieß. »Und ich betrachte es als Frechheit, daß Sie hier vor mir sitzen und lächeln wie eine Kaulquappe! Was wollen Sie?«
    »Menschlichkeit«, sagte Kolka still.
    »Was bitte?« stotterte Lepka verblüfft.
    »Ich habe fast zwanzig Jahre, fast die Hälfte meines bisherigen Lebens, in Rußland gelebt. Ich habe gelernt, nach Doktrinen zu leben, ich bin hinter der roten Fahne hermarschiert und habe zu Lenins Geburtstag und zur Feier der Oktoberrevolution im Sprechchor mitgebrüllt. Frieden! Freiheit! Brüderlichkeit!« Kolka wischte sich über die Augen. Der Alte aus Tiflis war er wieder, und er sehnte sich jetzt nach einem kleinen, hohen Gläschen Wodka, damit seine Stimme klarer klang. »Frieden … das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher